Im vergangenen Jahr ereigneten sich 43 tödliche Unfälle durch Stürze in deutschen Betrieben, davon allein acht bei Arbeiten auf Dächern und Dachstühlen. Eine ordnungsgemäß angelegte Schutzausrüstung gegen Absturz kann schützen. Schulungen vermitteln den sicheren Schutz.
Ein Mitarbeiter überprüft seine Arbeit im Dachstuhl und verliert unglücklich das Gleichgewicht. Er stürzt über eine Kante und fällt in die Tiefe. Zum Glück hatte er einen Gurt angelegt, hängt aber nun circa 2,5 m tiefer. Er kann sich selbst nicht retten oder aus eigener Kraft nach oben ziehen. Die Kolleg*innen, die versuchen zu helfen, können nicht bis zu ihm hinkommen, um ihm zu helfen, und sind schlecht oder womöglich überhaupt nicht ausgerüstet. Die örtliche Feuerwehr und der Rettungsdienst werden alarmiert. Beide sind schnell vor Ort, doch nach der sogenannten Lageerkundung stellt der Einheitsführer fest: „Keine Chance. Wir brauchen die Höhenrettung!“. Bisher sind rund 15 bis 20 Minuten vergangen und der Kollege klagt mittlerweile über Schwindel und Schweißausbrüche. Außerdem spürt er ein Kribbeln in seinen Füßen und Beinen, zudem werden diese unangenehm kalt. Starke Schmerzen an den Kontaktflächen mit seinem einfachen Auffanggurt kommen dazu, ohnehin hatte dieser ihm nie richtig gepasst. Der Zustand des Mitarbeiters verschlechtert sich. Sein Blutdruck fällt ab und der Puls verlangsamt sich. Er verliert langsam das Bewusstsein. Circa 45 Minuten nach dem Sturz trifft die Höhenrettung ein und bereitet die Rettung vor. Ob der mittlerweile bewusstlose Kollege noch lebt, ist unsicher. Das fortgeschrittene Hängetrauma, bei dem das Blut nicht mehr richtig zirkulieren kann, ist eingetreten und verschlimmert den Zustand des Patienten erheblich. Die eigentliche Rettung geht zum Glück recht schnell. Dennoch ist knapp eine Stunde seit dem Sturz vergangen, das Leben des Mannes hängt am seidenen Faden.
Ein fiktives Beispiel, das sich so oder so ähnlich jederzeit ereignen kann. Alle zeitlichen Angaben sind wohlwollend geschätzt und basieren auf eigenen Erfahrungen. Jedoch bleibt eines ganz klar: Wenn die Kolleg*innen nicht direkt selbst retten können, macht das erst einmal niemand. Sogar Feuerwehren kommen schnell an die Grenzen ihrer Ausrüstung und Ausbildung. Die spezialisierten Höhenrettungen haben meist eine lange Anfahrt, das bedeutet, dass wertvolle Zeit unnötig verloren geht.
Fast wöchentlich ein Toter durch Absturz
Wenn es im Unternehmen um persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) geht, prallen teilweise Welten aufeinander. Es ist allen bekannt, dass Menschen beim Arbeiten in der Höhe gegen Abstürze gesichert werden müssen. Aber das „Handwerk“ wird älter und scheut Veränderungen und steht zudem unter hohem Zeit- und Kostendruck. Die Auftragsbücher sind voll. Im laufenden Betrieb neue Systeme und Ausrüstungen anzuschaffen und sich dann auch noch um eine Gefährdungsbeurteilung oder ein Rettungskonzept kümmern zu müssen ist nicht immer einfach. Darüber hinaus wird deren Bedeutung leider zu oft infrage gestellt. Dabei sollte die Sicherheit der Beschäftigten gerade im Handwerk ganz oben stehen.
Im Arbeitsleben wird man schnell belächelt, wenn man vorschriftsmäßig seinen Auffanggurt umschnallt und seinen Helm aufsetzt, bevor man in der Höhe arbeitet (Bild 1): „So was hatten wir früher auch nicht“ oder „Das haben wir noch nie gemacht!“ Von internen Aufnahmeritualen im Handwerk ganz zu schweigen. Ein Sturz passiert immer ohne Ankündigung und unabhängig von Erfahrung oder Alter. Laut DGUV sind im Jahr 2021 43 Personen durch Sturz ums Leben gekommen. Davon allein acht bei Arbeiten auf Dächern oder Dachstühlen und vier durch Stürze von Gerüsten. Sonstige bauliche Einrichtungen kommen auf elf Todesfälle. Das klingt vielleicht nicht viel, aber die Gesamtzahl aller meldepflichtigen Absturzunfälle ist mit über 34.000 doch sehr hoch.

Auffangnetze sind nicht immer ausreichend oder möglich
Sollten Personenauffangnetze oder Randsicherungen nicht zum Einsatz kommen, müssen Arbeitnehmende eine PSAgA und zugelassene Anschlagpunkte verwenden. Denn: Ein Auffanggurt schützt nicht davor zu stürzen, sondern verhindert „nur“ einen freien Fall. Schon bei Höhen von unter einem Meter kann es zu schwerwiegenden inneren Verletzungen kommen. Je höher die Absturzkante, desto schlimmer die Verletzungen. Diese reichen von Knochen- und Gelenkverletzungen über schwere Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen bis hin zum Tod. Die maximal zulässige Kraft, die beim Auffangen eines Sturzes nicht überschritten werden darf, liegt bei 6 kN (ca. 600 kg). Wie in Bild 2 ersichtlich, sind diese 6 kN ohne falldämpfendes Element schnell erreicht. Schon nach 50 cm können Kräfte von bis 8 kN auftreten, wohingegen die Kräfte mit Falldämpfung meist unter 5 kN bleiben und damit für den menschlichen Körper erträglich sein sollten.
![Ein Diagramm, bei dem auf der Y-Achse die Fangstoßkraft im Mittel bei 100 kg Fallgewicht [kN] und auf der X-Achse die Fallhöhe in m angegeben ist. Zwei Graphen zeigen die Kraft in Abhängigkeit von der Fallhöhe, die ohne oder mit Falldämpfung auf den menschlichen Körper wirkt. (Quelle: Ausschnitt aus der DGUV Regel 112-198) Ein Diagramm, bei dem auf der Y-Achse die Fangstoßkraft im Mittel bei 100 kg Fallgewicht [kN] und auf der X-Achse die Fallhöhe in m angegeben ist. Zwei Graphen zeigen die Kraft in Abhängigkeit von der Fallhöhe, die ohne oder mit Falldämpfung auf den menschlichen Körper wirkt.](/assets/loader/loader-2.png)
Gurt anlegen und fertig?
Aber nicht jeder beliebige Gurt ist geeignet. Die richtige Norm, Passform und Größe müssen beachtet werden. Die Lebenszeit der Materialien ist begrenzt und der Gurt kann Defekte haben, weshalb die PSAgA jährlich von einer sachkundigen Person (DGUV 312-906) auf Mängel überprüft werden muss. Bestehen Zweifel an der Tauglichkeit oder ist die PSAgA beschädigt, dann muss sie ersetzt werden. Sobald das Anlegen und Einstellen des Gurts zu lange dauert und zu kompliziert ist, ist die Motivation der Mitarbeitenden beeinträchtigt, den Gurt und die entsprechenden Anschlagmittel überhaupt zu nutzen. Arbeitgebenden, die die Beschäftigten bei der Auswahl mit einbinden, erhalten dagegen eine positive Rückmeldung, und die Mitarbeitenden fühlen sich ernst genommen. In unserem Trainingscenter machen wir oft die Erfahrung, dass sich erst während der Schulung der nötige Respekt vor der Höhe entwickelt und die Notwendigkeit zum Tragen einer PSAgA verinnerlicht wird. Neben der körperlichen Eignung wird die PSAgA zudem passend zu den auszuführenden Arbeiten ausgewählt. Sie müssen den einschlägigen gültigen Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Versicherten bei der Arbeit entsprechen. Die PSAgA wird komplett getragen und es müssen ausreichend Anschlagpunkte vorhanden sein.
Die richtige Ausstattung finden …
Grundsätzlich verfügen Auffanggurte über eine BG-Baumusterprüfung (CE) und sind nach DIN EN 361 „Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz – Auffanggurte“ gefertigt.

Der Auffanggurt verfügt im Idealfall über zwei Auffangpunkte, ein bis zwei Brustösen und eine Rückenöse (Bild 3). Die Position der Rückenöse liegt in etwa zwischen den Schulterblättern. Halteösen für die Positionierung und Werkzeugösen runden den Auffanggurt ab, sodass auch zusätzliches Equipment befestigt werden kann. Polsterungen und breite Gurtbänder machen das Tragen komfortabel, und das Eigengewicht des Gurts ist gering. Im günstigsten Fall überzeugt der Gurt noch mit einer langen Lebensdauer, einer guten Verarbeitung und ist leicht anzulegen.
Große Eigenverantwortung
Bevor der Gurt eingesetzt wird, erfolgt die obligatorische arbeitstägliche Überprüfung. Dabei wird geprüft, ob sich der Gurt in einem guten Zustand befindet oder ob er beispielsweise beschädigt ist. Danach wird der Gurt angelegt und eingestellt; dafür werden alle Ösen richtig positioniert und alle Gurtschnallen geschlossen. Die Beinschlaufen werden so eingestellt, dass eine flach eingeschobene Hand zwischen dem Oberschenkel und der Beinschlaufe Platz hat, man aber eine geschlossene Faust nicht mehr zurückziehen kann. Wichtig ist, dass der Gurt angenehm sitzt und nicht einengt, sondern sich ohne Einschränkungen frei bewegt werden kann. Ein Verbindungsmittel mit integriertem Falldämpfer sowie Helm, Handschuhe und knöchelhohe Sicherheitsschuhe mit Absatz für einen sicheren Tritt gehören mit zur empfohlenen Ausstattung. Mitlaufende Auffanggeräte können ebenfalls zum Einsatz kommen. In Dachstühlen oder anderen Holzkonstruktionen können unter Umständen auch Höhensicherungsgeräte eingesetzt werden. Der Vorteil dieser Systeme liegt in der Bewegungsfreiheit und dem kurzen Sturzweg. Ganz zum Schluss überprüft man gegenseitig den Sitz der Ausrüstung im sogenannten Partnercheck (Bild 4). Dabei werden die Gurtbänder und Schnallen sowie die Position der Auffangösen überprüft. Man ist damit also auch immer für die Sicherheit anderer verantwortlich.

Schulung macht den Meister oder die Meisterin
Übrigens müssen alle, die in einem Gurt und unter Sturzgefahr arbeiten, eine Schulung absolvieren, die den einschlägigen DGUV Vorschriften, sowie der PSA-Benutzerverordnung unterliegt und mindestens einmal im Jahr aufgefrischt wird (Bild 5). Damit ist nicht die jährliche Unterweisung gemeint, die vom Arbeitgebenden im Rahmen der Arbeitssicherheitsvorschriften abgehalten wird. Nur wer im Ernstfall weiß, was zu tun ist, kann zweckmäßig und sicher anderen helfen und sich selbst im absturzgefährdeten Bereich sicher bewegen. Die DGUV 198 und 199 bieten viele Informationen zur Nutzung der PSAgA und zur Rettung mit einfachen Hilfsmitteln.

Was oftmals unterschätzt wird: Ein guter Gurt nützt nichts ohne passende Anschlagmittel und Anschlagpunkte. Auch das sind Themen, die während den jährlichen Schulungen vermittelt werden und nicht weniger wichtig sind. Neben der Bereitstellung der PSAgA ist der Arbeitgebende auch dafür verantwortlich, im Bedarfsfall die Rettung und das Durchführen von Erste-Hilfe-Maßnahmen sicherzustellen. Noch immer ist der Glaube weit verbreitet, dass die Feuerwehr die Rettung übernimmt. Allerdings sind Feuerwehren oft nicht für Rettungen in großer Höhe ausgerüstet. Dann muss, wie anfangs beschrieben, die Höhenrettung alarmiert werden, was zusätzlichen Zeitverzug bedeutet. Große Baustellen, teils mit unübersichtlichen Zufahrten und eingeschränkten Wegen, machen es oftmals zusätzlich kompliziert.
Eine gute Aus- und Weiterbildung für alle Beschäftigten kombiniert mit praxisnahen Rettungsübungen und regelmäßiger Auffrischung ist grundlegend für einen sicheren Baustellenbetrieb. Beispielsweise führt die Safety And Rescue Academy (S.A.R.A.) von Hailo Wind Systems seit vielen Jahren branchenübergreifende Schulungen im realitätsnahen Arbeitsumfeld auf Windenergieanlagen, Baustellen oder bei der Industrie durch. Solche Schulungen als betriebliche Maßnahmen sorgen für Vertrauen bei den Mitarbeitenden und dafür, dass alle nach Feierabend gesund und unversehrt nach Hause gehen können.