Bahnhof Assen
Der aufgewölbte Dachrand war erforderlich, um das Lichtraumprofil für die Züge unter dem Dach unterzubringen. Bild: Ing.-Büro Miebach - Egbert de Boer

Technik 7. July 2021 Dachtragwerk: Dreiecksdach mit Schwung

Eine ausladende Überdachung aus Brettschichtholz ist der markante Blickfang des neuen Bahnhofs im ­niederländischen Assen. Was einfach daherkommt, ist das Ergebnis tragwerksplanerischer Detailarbeit in Kombination mit gekonntem Einsatz ­parametrischer Planungssoftware.

Mit der außergewöhnlichen Überdachung des neuen Bahnhofs in der niederländischen Provinzhauptstadt Assen ist es gelungen, zwei Stadtteile miteinander zu verbinden und dem Bahnhofsviertel eine neue Identität zu geben. Markanter Blickfang des dreieckigen Dachtragwerks in Holzbauweise sind die von der einen Seite weit auskragende Spitze und von der anderen Seite der Schwung im Dach.

Der Siegerentwurf des international ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs stammt von „Team A“, ein Zusammenschluss der beiden niederländischen Architekturbüros Powerhouse Company und De Zwarte Hond. Die Idee war, einem verknüpfendes Element zu schaffen, das durch seine Form die Nutzung darunter widerspiegelt. Zum einen wollte man in Richtung Westen, dem Eingang zur Innenstadt, besonders viel überdachte Fläche für Pavillons und Aufenthaltsbereiche, zum anderen eine Anbindung zum Stadtbereich auf der anderen Seite der Gleise schaffen. Daraus entwickelte sich die ­Dreiecksstruktur, für die das Architektenteam einen ­Holzbau vorsah.

Schon während der Entwurfsphase ­ließen sie sich daher von den auf Holzbau ­spezialisierten Planern des ­Ingenieurbüros ­Miebach in Lohmar beraten und holten sie nach der Beauftragung durch die Stadt ­Assen schließlich auch für die Tragwerks- und Ausführungsplanung des Objekts mit ins Planungsteam.

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Das Haupt- und Nebentragwerk in der Untersicht Bild: Ing.-Büro Miebach - Egbert de Boer

Dreiecksform mit drei verschiedenen Kantenlängen ruht auf Stahlstützen

Bei der Dachform handelt es sich um ein ungleichseitiges Dreieck, also eines mit drei verschiedenen Kantenlängen: 90 m, 87 m und 77 m. Die kürzeste der drei Kanten ist zudem aufgewölbt, um für den Zugverkehr darunter den erforderlichen Platz zu schaffen. Das Dachtragwerk aus Brettschichtholzbindern ruht auf Stahlstützen mit sternförmigen Auskragungen. Dass sich die Form des Dreiecks für ein Flächentragwerk gut eignen würde, hatte man von Anfang an im Blick, nicht zuletzt weil ein Dreieck in sich stabil ist und sich selbst respektive als netzähnliche Dreiecksstruktur das gesamte Dach aussteift. So greift der Entwurf die Gesamtform auch im Einzelelement wieder auf. Um den Bereich unter der Überdachung mit viel Tageslicht zu versorgen, erhielt die Konstruktion eine aufgeständerte Dacheindeckung aus transparenten Polycarbonatplatten. Lediglich die Randbereiche sind als Gründach ausgeführt.

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Eingeschlitzte Bleche als vierschnittige Anschluss- lösung mit Stabdübeln erwiesen sich als effizient. Bild: Ing.-Büro Miebach

Aufwölbung einer Dachkante schafft das erforderliche Lichtraumprofil

Das Dreiecksdach bildet eine schiefe Ebene, so dass alle Eckpunkte auf unterschiedlichen Höhen liegen. Das war gestalterisch gewünscht, stellt aber auch die Entwässerung sicher. Da nun im Bereich der Bahntrasse eine der Dachkanten das Lichtraumprofil durchquerte, schafften die Architekten Platz, indem sie diesen Dachrand respektive die Dachfläche so weit aufwölbten, dass das erforderliche Lichtraumprofil für die Züge darunter untergebracht werden konnte. Diese Aufwölbung ­verkomplizierte die Tragwerksplanung allerdings ­dahin ­gehend, dass man nun keine ­ebene ­Dreiecksfläche mit Dreiecksunterteilungen und vielen gleichen Bauteilen ­ausführen konnte und diese nur im Raum ­verschwenken musste, sondern die dritte Dimension dazu nehmen und die Knotenpunkte der Struktur im aufgewölbten Bereich wie ein Netz an Fäden unterschiedlich weit nach oben ziehen musste. Damit erhielt man zwar ein Tragwerk, das in der Grundriss-Projektion identisch mit einem ebenen Tragwerk ist, bei dem sich durch das Verziehen der Knotenpunkte in die ­Vertikale aber die Längen der Stäbe änderten ebenso wie ihre räumliche Lage und ­damit ihre Geometrie. So führte die Aufwölbung dazu, dass jeder Träger eine andere Neigung und ebenso in verschiedenen Winkeln abgelängte Enden hat.

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Bild: Ing.-Büro Miebach

Verknüpfung von CAD- und Statiksoftware generiert das Tragwerk

Um die Konstruktion tragwerks- und ausführungsplanerisch umzusetzen, erhielten die Ingenieure von den Architekten die Daten für das Konstruktions- und Achsraster sowie die Daten für die Hüllflächen-Oberseite. Letztere hatten die Architekten aufwendig mit der 3D-Modeling-Software Rhino entwickelt. Die Ingenieure haben diese dann in das auf Holzbau spezialisierte 3D-CAD-Programm cadwork importiert, bearbeitet und wieder zurück in die Pläne der Architekten eingebettet. Zum Abgleich der 3D-Modelle diente stets eine Dreieckspyramide mit definierter Ausrichtung und Größe. Sie wurde. Sie wurde für jeden 3D-Daten-Austausch als Referenzobjekt verwendet.

Im nächsten Schritt haben die Tragwerksplaner die Konstruktion anhand von Knoten und Verbindungsachsen entwickelt. Das heißt, sie haben das Raster der Dreiecke in das vorhandene 3D-CAD-Modell „hinein entwickelt“ – zunächst in der Projektion, um anschließend die einzelnen Knotenpunkte so in der Höhe zu verschieben, bis die gewünschte geometrische Hüllfläche der Dachkonstruktion erreicht war. So konnten die Koordinaten der Knotenpunkt-Oberkanten des Tragwerks ermittelt werden. Danach haben die Ingenieure alle Knoten(punkte) durch Linien verbunden und erhielten damit auch die Achsen für alle Stäbe bzw. Bauteile.

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Eingeschlitzte Bleche schließen als Stahl-Stahl-Verbindungen an den sternförmigen Knotenverbinder an. Bild: Ing.-Büro Miebach


Dieses Knoten- respektive Linienmodell importierten sie schließlich in ihre Finite-Elemente-Methode(FEM)-Statiksoftware RFEM und belegten für eine erste statische Stabwerksberechnung die Linien mit Stäben. Der Export aus dem 3D-CAD-Modell für den Import in RFEM erfolgte so, dass jeder Knoten einen Namen erhielt, um die Zuordnung auch wieder rückwärts herstellen zu können. Das heißt: erhält ein Knoten im Tragwerksprogramm eine spezifische Information, so konnte sie auch ins 3D-Planungsmodell re-importiert werden. Damit war eine enge Abstimmung zwischen Ausführungs- und Tragwerksplanung gewährleistet. Der Vorteil dieser Arbeitsweise war außerdem, dass die Daten und Informationen auch in das BIM-Modell der Architekten (BIM – ­Building Information Modeling) eingepflegt werden konnten – was auf deren Wunsch übrigens auch Teil der Ausschreibung war. Der Abgleich der 3D-Modelle fand entsprechend den Projektständen regelmäßig statt. Die Ergebnisse aus der Tragwerksplanung ließen sich durch die informelle Verknüpfung der Modelle dann auch sehr schnell in ein IFC-Modell überführen (IFC – Industry Foundation Classes: offener Standard für den Datenaustausch in der Bauindustrie für BIM-Modelle) und den Architekten zum Abgleich vorlegen. So konnten eventuelle Kollisionspunkte oder andere Problemstellen gefunden und behoben werden.

Grundsätzlich galt es zunächst im Rahmen der Tragwerksplanung, den maßgebenden Querschnitt der Dachträger zu ermitteln, um dessen Höhe von der Hüllfläche abzuziehen. Denn es stellten nicht die Oberkanten auf der Hüllfläche, sondern die Unterkanten des Dachtragwerks die maßgebenden Punkte zur Erkennung der Kollisionsbereiche dar. Für die Abmessungen des maßgebenden Querschnitts ergaben sich unter Berücksichtigung einer marktüblichen BS-Holz-Festigkeitsklasse von GL30c eine Breite von 22 cm und eine Höhe von 1,12 m. Diese Geometrie wurde für eine einheitliche Form bei allen Stäben – mit Ausnahme der äußeren, gevouteten Träger – gleich gewählt. Von den Ingenieuren ins 3D-CAD-Modell eingepflegt und an die Architekten übergeben, zeigten sich beim Abgleich der Modelle Kollisionsbereiche in Bezug auf das Lichtraumprofil für die Züge. Das hatte zur Folge, dass die gesamte ­Dachkonstruktion um wenige Zentimeter angehoben werden musste.

Stützenkonstruktion mit Auslegern für gelenkige Fußpunkte

Eine weitere Herausforderung waren die Ausarbeitung der Stützenkonstruktion und die Entwicklung der Verbindungsknoten für die Dreieckshauptträger sowie deren Anschlüsse an die Stützen. Denn aufgrund der Tragwerksausbildung mussten Stützen und Dachtragwerk stets im Zusammenwirken betrachtet werden. Dabei war insbesondere die Nachgiebigkeit der Verbindungsknoten zu berücksichtigen, um die Verformungen des Tragwerks korrekt abzubilden.

Die erste Idee, Holz für die Stützen zu verwenden, musste nach einer Variantenstudie wieder verworfen werden; es wurde eine Lösung aus Stahl. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen war es erforderlich, die Verformungen aufgrund der über 15 m weit auskragenden Dreiecksspitzen zu minimieren, zum anderen eine Lösung zu finden, die ohne Einspannung der Stützen auskommt, da die Unterkellerung des Bereichs dazu keine Möglichkeit bot. Um eine gelenkige Lagerung der Stützenfüße zu ermöglichen, wählten die Ingenieure biegesteife Anschlüsse der Stützen an das Dachtragwerk.

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Im Verbindungsknoten angeschlossene BS-Holz-Hauptbinder auf einer Stahlstütze mit auskragenden Voutenträgern. Bild: Ing.-Büro Miebach

Jede der zwölf Rundstahl-Stützen wurde mit auskragenden, sternförmig angeordneten Voutenträgern konzipiert, und zwar mit so vielen, wie der jeweils darüber liegende Knotenpunkt BS-Holz-Träger verbindet. So ist jeder dieser Träger bis zum nächsten Knotenpunkt „unterfangen“ und dieser wiederum an der Voutenspitze angeschlossen. Diese Konstruktion ermöglichte die Abstützung der gesamten Dachstruktur und erinnert an die ursprüngliche Entwurfsidee der nach oben aufgespreizten Holzstützen. Die Form des Dachs und die daraus resultierenden Verformungen erzeugen unter anderem Torsionskräfte in den Voutenträgern, die daher entsprechend torsionssteif ausgeführt sind.

Schlitzblech-Verbindungen als effiziente Lösung

Die Architekten wünschten eine möglichst unsichtbare Knotenverbindung, ­sodass die Ingenieure auch dazu eine Variantenuntersuchung vornahmen. Als nicht ganz ­unsichtbare, aber dezente und ebenso ­effiziente wie wirtschaftliche Lösung erwies sich schließlich eine klassische, ­vierschnittige Stabdübel-Schlitzblech-Verbindung. Das hatte zudem den Vorteil, dass die Stahlbleche bereits im Werk montiert und vor Ort mit den sternförmigen Verbindungsknoten als Stahl-Stahl-Verbindung einfach angeschlossen werden konnten.

Die Ingenieure entwickelten für die verschiedenen Anschlusssituationen verschiedene Verbindungsknoten. Möglich wurde das ein weiteres Mal mithilfe von cadwork auf der ­Basis einer sogenannten Variantensteuerung, also einer parametrischen Eingabe für die einzelnen Stäbe und deren Anfangs- und Endknotenpunkte. Das heißt, anhand der Lastausnutzung wurden verschiedene Verbindungsknotentypen im RFEM-Modell ermittelt und die Informationen „Stab-Nr. – angrenzender Knoten – Verbindungstyp“ als Liste exportiert. Mit diesen Informationen war es schließlich möglich, die Verbindungsknotentypen samt eingeschlitzter Bleche automatisch zu generieren. Das Ganze wurde dann erneut ins 3D-CAD-Modell importiert, wo all jene Stabenden angeklickt wurden, die einen bestimmten Anschlusstyp erhalten sollten. Dabei konnten auch die räumlichen Koordinaten, also wie die Stäbe im Raum liegen und wie die vertikalen Anschnitte auszusehen haben, direkt in der Variante berücksichtigt und alle entsprechenden Stäbe über eine spezifische Eingabe mit dem erforderlichen Anschluss ausgeführt werden.

Mithilfe dieses „Variantenschreibens“ war es möglich, die Komplexität der Verbindungsknoten trotz unterschiedlicher Stäbe mit jeweils unterschiedlichen Geometrien auf vier Anschlusstypen zu reduzieren. Um für alle Knotenpunkte des Dachtragwerks die entsprechenden Varianten zu schreiben, waren knapp drei Tage erforderlich. Danach generierte das Programm quasi „auf Knopfdruck“ alle Anschlussknoten, wobei kein Anschluss gleich ist. So kommen in einem Verbindungsknoten mitunter sechs Bauteile an, die jeweils mit unterschiedlich vielen Verbindungsmitteln angeschlossen wurden, da sie bei immer gleichem Querschnitt verschieden hohe Lasten aufzunehmen haben.

Das Prinzip des parametrischen „Variantenschreibens“ nutzten die Planer vom ­Ingenieurbüro Miebach auch für die Voutenträger der Stützen, die ebenfalls alle unterschiedliche Geometrien wie Länge und ­Neigung sowie die Voutung selbst aufweisen.

Nebentragwerk „Dreieck im Dreieck“ als Auflager für BSP-Platten

Zwischen die Dreiecke des Haupttragwerks wurden oberkantenbündig weitere „Dreiecke“ aus BS-Holz-Balken (GL24h, b/h = 12 cm × 24 cm, ) eingefügt. Sie dienen den 6 cm dicken Brettsperrholz(BSP)-Platten im 3 m breiten Dachrandbereich als Auflagerbalken. Im übrigen Dachbereich fungieren sie als zusätzliche Aussteifung und fassen LED-Streifen zur Beleuchtung.

Berücksichtigung von Verformungen vor Fertigung und Montage

Bei der Fertigung der Hauptträger bzw. der Verbindungsknoten galt es schließlich noch zu berücksichtigen, welche Verformungen sich am Ende beim fertiggestellten Bauwerk hinsichtlich des Eigengewichts des Tragwerks und der Auflast des Dachs einstellen. Für die Ausführungsplanung wurde daher die Verformung jedes Knotenpunktes analysiert, um festzustellen, welche Knoten in ­welchem Maß überhöht bzw. „unterhöht“ werden müssen, um am Ende die planmäßige Form des Gesamttragwerks zu erhalten. So ergab sich beispielsweise die größte Durchbiegung im Hauptfeld am aufgewölbten Dachrand mit 33 mm. Diese Stelle musste entsprechend mit 33 mm überhöht ausgeführt und die Verbindungsmittel mussten entsprechend generiert werden. Erwähnenswert ist zudem, dass für den BIM-Prozess die Zustände „Überhöhung“, „Kriechverformung“ und „Verformung unter Last“ mit der Entwässerungsplanung abgeglichen werden mussten.

Diese Analysen flossen schließlich als extra erstelltes CAD-Verformungsmodell in die Werkplanung ein und lieferten über die parametrischen Bearbeitungsschleifen am Ende dem Herstellerbetrieb die fertigen Abbundpläne. Die BS-Holz-Haupt- und Nebenträger erhielten einen Wetterschutzanstrich, damit sie auch kurzfristig auf der Baustelle gelagert werden konnten. Zusätzlich wurde baubegleitend auch die Holzfeuchte gemessen. Das erlaubte es, die Rücktrocknung der bauzeitlich bewitterten Bauteile zu beobachten.

Bei der Montage wurden zuerst die Stahlstützen gestellt, dann die Voutenträger an sie angeschlossen und auf diese wiederum die Hauptträger montiert. Die übrigen Hauptträger hat man einzeln dazwischen gehängt und anschließend den Bereich über den Gleisen in großformatig vormontierten Abschnitten eingehoben und mit den bereits aufgestellten Abschnitten verbunden. Zum Schluss folgte die Montage des auskragenden Randbereichs.

Da alle alle Haupt- und Nebenträger-Querschnitte die gleichen Abmessungen haben, wäre die Überdachung – mal abgesehen von den unterschiedlich abzubindenden Trägerenden und Knotenverbindern – eine einfache Aufgabe gewesen. Kompliziert machte das Tragwerk erst die räumliche Komponente, also die Verformung aus der Ebene heraus. Der dadurch entstandene Mehraufwand für die Zeichnungen konnte jedoch parametrisch, also durch das „Variantenschreiben“, ein Stück weit kompensiert werden. In jedem Fall hat die Summe aller optimal gelösten Details ein stimmiges Tragwerk mit Strahlkraft ermöglicht. Und so erfreut sich die Überdachung seit ihrer Fertigstellung Anfang 2020 hoher Aufmerksamkeit.

Autorin

Susanne Jacob-Freitag ist Diplom-Ingenieurin (FH) sowie Baufachjournalistin und betreibt das Redaktionsbüro manuScriptur in Karlsruhe www.texte-nach-mass.de .

zuletzt editiert am 04.08.2021