Aufstockung Bis dato stehen beim Themenkomplex Nachverdichtung und Aufstockung allein die Städte im Fokus. Zu Unrecht: Das größte Potenzial an bezahlbarem Wohnraum bietet der ländliche Raum.
Marc Wilhelm Lennartz
Nicht erst in den letzten Jahren zieht es etliche Menschen, darunter insbesondere junge Familien mit Kindern, wieder (zurück) auf das Land. Diese innerdeutsche Migration hat ihren Grund zum einen in hochpreisigen Mieten für mittelmäßige Wohnungen in austauschbaren Zeilen- und Blockbebauungen in den Groß- und Millionenstädten. Zudem ist der hochverdichtete (sub-)urbane Raum, in dem Anonymität und Entfremdung kontinuierlich zunehmen, gekennzeichnet durch einen Mangel an Frei- und Grünflächen in Kombination mit einem Überschuss an Lärm und Feinstaubkonzentrationen in der Luft. Gerade in dieser Hinsicht bestätigt der ländliche Raum seine altbekannten Qualitäten, zumal Deutschland seit jeher von seinen Wäldern und Mittelgebirgslandschaften sowie zahllosen Kleinstädten und Dörfern geprägt wird. Letztere fungieren als Sehnsuchtsorte naturnahen Wohnens mit einer identitätsstiftenden Wirkkraft, die auf zwischenmenschlichen Bezügen und lebendigen Nachbarschaften beruht.
Ungebrochene Attraktivität des Eigenheims im Grünen
Der Bestand an Einfamilienhäusern (EFH) in Deutschland umfasst über 16 Millionen Gebäude mit einer oder zwei Wohnungen (Gesamtzahl Wohngebäude Deutschland 2021: 19,4 Millionen/Quelle: Statista GmbH). Während zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Zahl der jährlich errichteten Ein- und Zweifamilienhäuser zwischen 80.000 und 180.000 schwankte, hat sie sich in der letzten Dekade bei etwa 100.000 Einheiten eingependelt. Das zeigt die ungebrochene Attraktivität eines eigenen Heims im Grünen als Traum vieler Menschen. Von den in Deutschland 2020 neu errichteten 137.245 Wohngebäuden waren 97.510 Ein- und Zweifamilienhäuser (Quelle: Bundesstiftung Baukultur – Baukultur Bericht Neue Umbaukultur November 2022). Doch hohe Material-, Bau- und Grundstückskosten sowie steigende Zinsen erschweren zunehmend die Errichtung neuer Wohnhäuser. Zudem steht das klassische, freistehende EFH seit geraumer Zeit in der Kritik, da damit unter anderem ein immenser Erschließungsaufwand, ein starker Flächenverbrauch und Landschaftsversiegelungen einhergehen. Derzeit werden in Deutschland täglich rund 54 Hektar als neue Siedlungs- und Verkehrsflächen ausgewiesen – was etwa 100 Fußballfeldern entspricht. In diesem Kontext ist auf den Unterschied zwischen Flächenverbrauch und Flächenversiegelung hinzuweisen. Letztere schließt den Boden, etwa für Niederschläge und Sonneneinstrahlung, dauerhaft ab und zerstört dessen Vitalfunktionen. Im Gegensatz dazu wird beispielsweise für Parkanlagen, Sport- und Golfplätze und andere Erholungsflächen zwar Land verbraucht, jedoch nicht versiegelt.

Ungelöste Probleme: Flächenverbrauch und Zersiedelung
Die Siedlungs- und Verkehrsflächen Deutschlands haben sich im Zeitraum von 1992 bis 2020 laut dem Statistischen Bundesamt von gut 40.000 km² auf über 51.000 km² ausgedehnt, was einem Wachstum von 28,3 % in den vergangenen 28 Jahren entspricht. Gleichwohl ist der Flächenverbrauch seit der Jahrtausendwende kontinuierlich gesunken. Doch grundsätzlich befördern die Ausweisungen neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen im ländlichen Raum einen Bedeutungsverlust der Kernorte inklusive Leerständen bei gleichzeitiger Zersiedelung der Landschaft mit erhöhtem Verkehrsaufkommen. Die Folgen sind Kostensteigerungen bei der technischen Infrastruktur: zum einem für den Neubau, zum anderen beim Erhalt der vorhandenen Systeme, deren Auslastung im Bestand sukzessive abnimmt. Damit steigen die Unterhaltungskosten der Infrastruktur für Strom, Wasser, Straßen etc. je Einwohner, wovon auch der ohnehin problembehaftete ländliche ÖPNV betroffen ist, der schon immer grob defizitär unterwegs war. Wege aus diesem Dilemma wurden bereits hinlänglich diskutiert, so zum Beispiel mit dem Hinweis auf die Innenentwicklung mittels der Revitalisierung alter Ortskerne und der Schließung von Baulücken in Kombination mit dem gezielten Abbau von Leerständen. Darüber hinaus werden auch rigide Maßnahmen thematisiert, etwa angedachte Flächenkontingentierungen für die Kommunen und Landkreise. Diese sind jedoch nicht zielführend, da gegen die Interessen der Bevölkerung und somit schädlich für die Demokratie. Die Lösung liegt darin, die Bedürfnisse der Bürger nach bezahlbarem Wohnraum im Grünen mit den Zielen der Raumordnung und des Umweltschutzes zu verknüpfen. Und Aufstockungen auf bestehenden Wohngebäuden auf dem Land, an die bis dato so gut wie niemand gedacht hat, bedienen beide Ziele gleichermaßen.
Nachwuchs erfordert Aufstockung
Ein Beispiel aus der Pfalz zeigt, wie der Traum vom eigenen Heim im Grünen ohne die Ausweisung weiterer Neubaugebiete realisiert werden kann. Es dokumentiert, welches riesige, bis dato ungenutzte Wohnraumpotenzial klassische Ein- und Zweifamilienhäusern für die kurzzeitige Schaffung neuen, bezahlbaren Wohnraums in der Fläche besitzen. Im Jahr 2008 hatte das Bauherrenehepaar sein zweistöckiges EFH in Massivbauweise in einem typischen Neubaugebiet errichten lassen. Wegen zweifachen Nachwuchses wuchs der Wohnraumbedarf. Ein Anbau kam auf dem 490 m² großen Grundstück aufgrund bauchrechtlich enger Abstandssituationen nicht infrage. Die Lösung bestand in der Aufstockung um eine zusätzliche Etage als Staffelgeschoss mit 56 m² Wohnfläche in Kombination mit einer umlaufenden Dachterrasse von 43 m². Dafür fiel die Wahl auf ein umfänglich aufgestelltes Holzbauunternehmen, das den kompletten Bauprozess als GU von der Entwurfs- und Ausführungsplanung über die werkseitige Vorfertigung der Holzbauelemente bis zur schlüsselfertigen Umsetzung übernahm. Die Ausführung in vergleichsweise leichter Fachwerkbauweise mit hohem Glasanteil konnte statisch ohne größere Aufwendungen auf dem massiven Altbestand erfolgen.


Brettsperrholz in Boden und Außenwand
Nach dem Abtrag der alten Dachkonstruktion wurden die Lastpunkte der Bestandsaußenwände ertüchtigt und für den Aufbau des Staffelgeschosses 1:1 übernommen. Im Zuge dessen platzierte man zusätzlich zwei innere Stahlstützen zwecks Ableitung der Lasten des Unterzugs im Erdgeschoss. Des Weiteren musste wegen des Einbaus einer zusätzlichen Innenwand im Obergeschoss der bestehende Stahlbeton-Ringanker, der die Dachlasten aufgenommen und über die Außenwände abgeleitet hatte, unterbrochen werden. Um diesen Eingriff statisch zu kompensieren, schraubte man auf den Ringanker ein Stahlkorsett aus Doppel-T-Trägern mit einer hohen Biegesteifigkeit. Damit konnte eine tragfähige, ebene Auflagefläche für die darauf platzierte Brettsperrholzdecke (BSP) gebildet werden, die ausgeklinkt in das Stahlkorsett verlegt wurde. Die 20 cm dicke BSP-Decke, die statisch vom Bestand entkoppelt ist, dient als lastverteilende Platte der Aufstockungsebene und auch als Raumabschluss des bestehenden Obergeschosses. Auf die BSP-Platten schraubten die Zimmerer einen BSH-Holzkranz mit den Maßen B/H 14 cm × 29,5 cm in GL24c mittels kreuzweise versetzter Vollgewindeschrauben (ø 8 mm; L = 240 mm). Obenauf erfüllt eine mehrschichtige EPS-Lage aus expandiertem Polystyrol (45 mm/35 mm/35 mm) die Erfordernisse von Boden- und Trittschalldämmung, abgedeckt mit einer Lage mit PE (Polyethylen) aus wasserdicht beschichtetem Natronkraftpapier als Schutz vor aufsteigender Feuchtigkeit. Den Abschluss bilden ein gegossener Anhydridestrich, in den zugleich die Heizschleifen der Fußbodenheizung verlegt wurden, sowie ein wilder Verband aus Feinsteinzeug-Fliesen in 60 cm × 30 cm als Fußbodenbelag.


Bodentiefe, deckengleiche und rahmenlose Verglasung
Die auf die BSP-Ebene platzierte tragende und verglaste Fachwerkkonstruktion besteht aus Brettschichtholz (BSH) der Festigkeitsklasse GL24h mit einer Tragstruktur aus Schwelle in 200 mm × 100 mm, Pfosten, 160 mm × 160 mm, und Rähm, 160 mm × 160 mm. Die Anschlüsse erfolgten, etwa bei der Verbindung des Pfostens mit dem Schwellenholz, mit speziellen Riegelverbindern, die die hölzerne Ebene von den funktionstragenden Komponenten aus Dichtungen und Aluminiumprofilen trennt. Die bereits werkseitig in die 19 cm tiefen Holzbauelemente integrierte großflächige Verglasung der Aufstockungsebene basiert auf einem dreifachen Wärmeschutz-Isolierglas. Die Rahmen und Flügel dieser Holz-Alu-Fenster, die einen Ug-Wert von 0,5 W/(m²K) aufweisen, bestehen innen aus Holz und außen aus eloxiertem Aluminium. Randverbund und Glasfalz sind mit Mineralwolle ausgedämmt. Die bis zum Boden reichende rahmenlose Verglasung der Außenwandkonstruktion verbindet den inneren Wohn- mit dem äußeren Terrassenbereich. Die gesamte Glasfassade verfügt über elektrisch betriebene Raffstores, die bis unter die Oberlichtebene reichen und über eine Nut in die Leimholzkonstruktion eingelassen sind. Der Aufbau der nicht verglasten, stützenfreien Außenwandelemente mit dem U-Wert = 0,152 W/(m²K) basiert auf einem BSP-Kern von 80 mm Dicke, der die Konstruktion aussteift und den vertikalen Lastabtrag sicherstellt. Innenseitig folgen eine Dampfsperrbahn von 0,2 mm, eine Unterdeck-Wärmedammplatte von 35 mm aus unbehandeltem Tannen- und Fichtenholz und abschließend eine Gipsfaserplatte von 12,5 mm Dicke. Nach außen fügt sich an die Massivholzebene eine 16 cm dicke Wärmedämmplatte aus expandiertem Polystyrol-Hartschaum an, die von einer organischen Armierungsmasse und einem 1,5 mm dicken Silikonharz-Oberputz abgeschlossen wird.



Konstruktiver Holzschutz durch weit auskragendes Flachdach
Die den Altbestand mit der Aufstockungsebene verbindende Podesttreppe mit eingespanntem Glasgeländer und einem runden Handlauf stammt ebenfalls aus dem Hause des Holzbau-GU. Die Wangen, die eingestemmten Treppenstufen und der Handlauf bestehen aus Leimholz. Die abschließende Flachdachkonstruktion basiert auf einer Lage 26 cm hoher KVH-Balken in C24, auf die eine an den Stößen miteinander verbundene, 25 mm dicke OSB-Lage montiert wurde. Obenauf liegen eine aluminiumkaschierte Dampfsperrbahn sowie eine 20 cm dicke, flachdachtypische EPS-Gefälledämmung mit 2% Gefälle nach außen. Eine mehrlagige Abdichtung aus Elastomerbitumen-Schweißbahnen (3 mm/5,2 mm) mit Glasgewebeeinlage sorgt für einen wetterfesten Dachabschluss, der mit einer 5 cm dicken Kiesschüttung finalisiert wurde. Die Innenraum-Deckenoberfläche bilden eine Nadelholz-Unterkonstruktion von 90 mm Dicke sowie eine darauf geschraubte Lage von 12,5 mm dünnen, geweißten Naturgipsplatten. Das ringsum 1 m weit auskragende Flachdach schützt die Fassade vor Witterungseinflüssen und spendet bei hochstehender Sommersonne Schatten.


Rohbau in 13 Tagen, schlüsselfertige Übergabe in 13 Wochen
Die aufgestockte Wohnraumerweiterung konnte nicht nur baurechtlich und planerisch vergleichsweise einfach bewältigt werden, sondern auch zeitlich. So dauerte die Richtung des werkseitig weitgehend vorgefertigten Holzbaus inklusive Abtrag des Altdachs nur 13 Tage. Und nach rund drei Monaten war die Baumaßnahme vollständig abgeschlossen. Das Beispiel zeigt, wie Aufstockungen auf Ein- und Zweifamilienhäusern in ganz Deutschland in Kurzzeit geplant und umgesetzt werden können. Die in sämtlichen Regionen und Landkreisen in Deutschland ansässigen über 12.000 Zimmerei- und Holzbauunternehmen sind geradezu prädestiniert dafür, diese Aufgabe in der Fläche zu übernehmen. Die bauliche Basis dafür ist gegeben, da im Ein- und Zweifamilienhausbereich viele Gebäude traditionell handwerklich erstellt wurden und werden und daher über die statischen und bautechnischen Qualitäten verfügen, um darauf eine zusätzliche Etage in leichter Holzbauweise aufzustocken. Die zusätzlichen Vorteile gestalten sich vielfältig. Zum einen gewinnen die Kommunen neue Mitbürger, die zugleich die vorhandene Infrastruktur ((Ab-)Wasser, Abfallwirtschaft, Strom, Kommunikation, Verkehr, Schulen, Kitas etc.) besser auslasten, was sinkende oder zumindest stabile Kosten (Gebühren) mit sich bringt. Zum anderen kann der Überalterung und Schrumpfung der ländlichen Bevölkerung entgegengewirkt werden. Des Weiteren entfallen das zeit- und kostenträchtige Schaffen von Baurecht, da Bebauungspläne oftmals bereits vorliegen, sowie die Erschließung von Neubaugebieten mit durchschnittlichen Kosten von 30.000 Euro/Grundstück (Quelle: Bundesstiftung Baukultur – Baukultur Bericht Neue Umbaukultur November 2022). Ferner erfahren die vorhandene Bausubstanz und die darin verbaute graue Energie im Zuge der Baumaßnahme eine Aufwertung, um die sich dann mehrere Parteien kümmern.

Bezahlbarer, in der Fläche verteilter Wohnraum
Überdies können sich die Bauherrschaften der Bestandsgebäude mit der Zustimmung zur Aufstockung entweder eine neue Einnahmequelle über die Vermietung sichern oder über den Verkauf der Dachebene ihre eigenen Kredite früher ablösen. Damit entsteht neuer, attraktiver Wohnraum im Grünen ohne zusätzliche(n) Flächenverbrauch/-versiegelung, was darüber hinaus auch die Ballungsräume vom starken Siedlungsdruck entlastet. Die Zeiten lokaler und globaler Veränderungen erfordern neue Wege. Stockte man derart auch nur 10 % der 16 Mio. EFH auf, die gut zwei Drittel des Wohngebäudebestands in Deutschland bilden (Quelle: Destatis), entstünden 1,6 Mio. zusätzliche Wohnungen. Deren räumliche Verteilung in der Fläche käme einer dezenten Nachverdichtung gleich, ohne merkliche Beeinträchtigung der Wohnumfeldqualitäten. Last but not least kostete derart obenauf platzierter, zusätzlicher Wohnraum nur einen Bruchteil dessen, was derzeit für den Neubau von Wohngebäuden aufgerufen wird. Es gilt den Fokus auf den Aus- und Umbau zu lenken, was einem Paradigmenwechsel gleichkommt, da bis dato vor allem der Neubau im Blickfeld von Bauherrschaft, Architektur, Bauwirtschaft, Verwaltung, Politik und allgemeiner Öffentlichkeit steht. Doch die Endlichkeit von Boden, Raum und Ressourcen sowie die Verteuerung von Energie erfordern aus gesamtgesellschaftlichen Gründen eine Neuausrichtung, die das Vorhandene wertschätzt. Unsere Vorfahren haben eine immense Bausubstanz geschaffen – wir sollten sie weiterhin und so lange wie möglich nutzen.