Treppenversatz
Die Kultur- und Sporthalle in Alfter ist erst der zweite Holzbau in Deutschland, bei dem der Treppenversatz wieder eingesetzt wurde. (Quelle: Harald Siebert)

Technik 17. May 2023 Treppenversatz und 50.000 Schrauben

Verbindungstechnik Das Wissen aus dem Mittelalter kann helfen, heutzutage eine Holzkonstruktion filigraner zu erstellen: In Alfter vor den Toren Bonns entsteht eine Sport- und Kulturhalle, bei der die Technik des Treppenversatzes eine im Wortsinne tragende Rolle spielt.

Mitten im Ort soll das neue Gebäude zur Attraktivitätssteigerung beitragen, zumal in der direkten Nachbarschaft auch noch Wohnungen, ein Vollsortimenter und eine „grüne Mitte“ geplant sind. Doch die Halle selbst ist schon ein Hingucker: 22 V-förmige vertikale Stützen mit dem Querschnitt von 30 mal 32 Zentimetern und 14 Fachwerkträger mit einer Länge von 28 Metern in der Horizontalen mit circa 24 Metern lichtem Abstand zwischen den Stützen, alles aus Buchenholz gefertigt, tragen die Dachkonstruktion. Dort oben – und damit auf dem gleichen Niveau wie das benachbarte Alfterer Schloss – werden für die Kinder ein Spielplatz und für die Älteren ein Fitness-Areal entstehen. Weitere Teile der Dachfläche sollen intensiv und mit Hochbeeten extensiv begrünt werden.

Rendering der Kultur- und Sporthalle in Alfter
Die Kultur- und Sporthalle kann nach Fertigstellung für Veranstaltungen bis maximal 400 Personen vielseitig genutzt werden. (Quelle: Königs Architekten)

Abgesenktes Sportfeld

Eine Rundumverglasung sorgt dafür, dass die Halle einen offenen und einladenden Charakter haben wird und man von außen gut in das Foyer und in den Zuschauerbereich hineinsehen kann. Nach unten in eine Stahlbetonwanne abgesenkt wurde ein Sportfeld mit 17 mal 34 Metern Größe. Diese Fläche kann jedoch auch für Veranstaltungen, zum Beispiel Lesungen oder Feste, genutzt werden. Die Absenkung des Sportfelds bewirkt, dass die Hallenhöhe auf sieben Meter begrenzt werden konnte und das Gebäude sich so gut in die Nachbarbebauung einfügt.

Das Kölner Büro Königs Architekten hatte 2019 mit diesem Entwurf den Alfterer Gemeinderat überzeugt, als dieser im Rahmen eines integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) um Vorschläge für die umfassende Neugestaltung und damit Stärkung des Ortskerns gebeten hatte. Ulrich Königs verwies unter anderem auf die „einfache Lesbarkeit von Konstruktion und Material“ in seinem Konzept. Beides unterstreiche die „dienende Funktion“ der Halle. Der Entwurf habe darüber hinaus „eine Vorbildwirkung in seinem nachhaltigen Gestaltungsanspruch“. Der Bau werde „in dieser Hinsicht fortschrittlich und innovativ den Weg hin zum klimaneutralen Bauen weisen“.

Bei Sport - und Versammlungsstätten in diesen Dimensionen (die Grundfläche misst inklusive Technikräumen 1.050 Quadratmeter) auf Holz als zentrales Baumaterial zurückzugreifen sei „in der Vergangenheit relativ unüblich“ gewesen, räumt Königs ein. Es gewinne aber „mit zunehmendem Umweltverständnis und fortschreitender Bautechnologie immer mehr an Bedeutung“.
Als Hindernis bei dieser Trendumkehr erweisen sich indes immer wieder die Anforderungen des Brandschutzes und zusätzlich in diesem Fall (wegen der Spiel- und Sportflächen ganz oben) der Erdbebensicherheit. Sie hätten eigentlich eine sehr massive, wuchtige Bauweise notwendig gemacht. In Alfter jedoch sorgt der Rückgriff auf eine im Mittelalter gebräuchliche, später aber in Vergessenheit geratene Technik dafür, dass die Konstruktion trotz dieser Vorgaben eher leicht wirkt: Mit der Entscheidung für den Treppenversatz als Verbindung zweier Bauteile können die Lasten ausreichend abgetragen, das Bauwerk kann so versteift werden und man kommt trotzdem mit etwa der Hälfte der ansonsten notwendigen Querschnitte aus.

Treppenversatz neu gedacht

Der Hinweis auf die stufenförmig angeordneten Kontaktverbindungen kam von den Tragwerksplanern der Pirmin Jung Deutschland in Remagen, die Königs Architekten mit einbezogen hatten. Florian Willers, Projektleiter in der größten deutschen Niederlassung des Schweizer Unternehmens, sagt, er habe „wie fast jeder bei uns im Büro Zimmermann gelernt“ und blicke „immer wieder mit Stolz auf unseren Beruf zurück. Und voll Respekt vor den früheren Handwerkern, die schon wussten, wie man welches Material klug einsetzt“. Den Treppenversatz in Handarbeit herzustellen sei wegen der erforderlichen großen Genauigkeit aufwendig und sehr anspruchsvoll gewesen. Deswegen habe man später andere Verbindungstechniken eingesetzt. Jetzt werde dieser Versatz dank der CAD- und CNC-Technik „unter den modernen Möglichkeiten neu gedacht und in der Leistungsfähigkeit vervielfacht“. Zudem sei er vergleichsweise kostengünstig. „Man braucht nämlich keine weiteren Stahlbleche oder zusätzliche Verbindungsmittel wie Stabdübel oder Schrauben.“ Außerdem, so Willers, habe der Treppenversatz im Brandfall „den Vorteil, dass er nur aus Holz besteht und so durch den Abbrand zwar im Querschnitt verringert wird, aber nicht seine Tragfähigkeit verliert“. Die Kultur- und Sporthalle in Alfter sei erst der zweite Holzbau in Deutschland, bei dem diese Verbindungsart wieder eingesetzt worden sei.

Montage von Dachplatten
Montage der Dachplatten (Quelle: Harald Siebert)

Optimale Bauteilvorbereitung

Apropos Brandfall: Die neue Halle ist die erste Holzkonstruktion in unserem Land mit einer Spiel- und Sportfläche obendrauf. Dies hatte überdurchschnittlich hohe Anforderungen an die Statik, die Feuersicherheit und die Erdbebensicherheit zur Folge. Es musste die „Last“ von bis zu 200 Menschen berücksichtigt werden zusätzlich zu den regulären Lasten, das Holz muss 90 Minuten lang Feuer standhalten (also F90), und die gesamte Konstruktion muss auch heftige Erdstöße aushalten. Nicht zuletzt dem Projektleiter bei Königs Architekten, Elias Koch, bereitete dies erhebliches Kopfzerbrechen angesichts der „außergewöhnlichen Probleme bei vielen Details. Beispielsweise mussten alle Bohrkanäle für Schrauben und Nägel mit langen Holzdübeln verschlossen werden, die die Feuersicherheit gewährleisten. Des Weiteren gibt es bislang keine brandschutztechnisch zugelassenen Dacheinläufe für die Entwässerung in Holzbauten. Auch diese Hürde mussten wir nehmen und spezielle Brandschotts für alle Dachdurchdringungen einplanen“.

Ein Träger mit Holzdübeln, die die Schraubenlöcher "feuerfest" verschließen, und mit einem Durchlass für die Dachentwässerung
Ein Träger mit Holzdübeln, die die Schraubenlöcher „feuerfest“ verschließen (Pfeil), und mit einem Durchlass für die Dachentwässerung (Quelle: Harald Siebert)

Als Holzbauunternehmen intensiv beteiligt an derartigen Problemlösungen war das international renommierte Weilheimer Unternehmen Amann. Für dieses sei der Alfterer Auftrag „vom Volumen her zwar eher von mittlerem Umfang“ gewesen, aber wegen der „aufwendigen Konstruktion“ sehr reizvoll und spannend, erläutert Projektleiter Fabian Lörch. Im Frühjahr 2022 begannen die CAD-Planungen dafür. Bei deren Überprüfung im Detail stellte sich unter anderem heraus, dass zahlreiche der vielen Tausend Kanäle für Schrauben in der Realität kollidieren würden. Das musste also korrigiert werden, bevor Ende August der eigentliche Abbund auf der Hightech-CNC-Anlage beginnen konnte. Alle Bauteile wurden optimal vorbereitet zum Zusammenbau auf der Baustelle. Unter anderem wurden auch schon beim Abbund die Löcher für die Entwässerung und für die Entlüftungsleitungen angelegt. Die Fachwerkträger haben gegenüber Vollwandträgern den Vorteil der Gewichtsersparnis und bieten Platz für die erforderlichen Installationen.
Insgesamt hat Amann 93 Kubikmeter Baubuche, 90 Kubikmeter Brettschichtholz und 250 Kubikmeter Brettsperrholz verbraucht für die Stützen, die Fachwerkträger und die Dachscheiben. Das Holz kam aus dem Schwarzwald, also quasi aus der Nachbarschaft des Betriebs, hauptsächlich jedoch aus Österreich. Die Einkaufsabteilung des Unternehmens hatte zudem die Aufgabe zu lösen, etwa 50.000 Holzbauschrauben mit Voll- und mit Teilgewinde von bis zu 800 mm Länge sowie rund 57.000 Ankernägel zu beschaffen.

Montage der Stützfüße für die V-förmigen Stützen
Montage der Stützfüße für die V-förmigen Stützen (Quelle: Harald Siebert)
Montage einer Stütze
Montage einer Stütze (Quelle: Harald Siebert)

Aufbau der Halle mit technischen Herausforderungen

Im Oktober und November war dann vor Ort in Alfter „Action“ angesagt: Vier bis sechs Amann-Mitarbeiter bauten mithilfe eines großen Mobilkrans die Halle auf. Die Stützen wurden auf vorgefertigten Füßen aus Stahl mit einer Betonummantelung befestigt. Vorübergehend montierten die Zimmerer zwischen den Stützen eine Verschalung zur Verstärkung gegen den Wind. Auf den Stützen platzierte man die Fachwerkträger. An ihnen wurden später weit auskragende Dachränder angebracht. Der so gebildete Dachüberstand dient als Sonnen- und Regenschutz dem konstruktiven Holzschutz der außenliegenden Buchenstützen. Gleichzeitig sorgt er für eine Verschattung der rundum verlaufenden Verglasung des Baus, was die Wärmeeinstrahlung durch die Sonne minimiert. Die mechanische Kühlung des Innenraums konnte entsprechend (kosten)optimiert ausgelegt werden. Zug um Zug wurden auch die Dachplatten hochgehievt und aufwendig verschraubt, um die Erdbebensicherheit zu gewährleisten. Auch die Amann-Mitarbeiter schwärmten dabei von den „technischen Herausforderungen“ dieses Projekts. In diesem Frühjahr erfolgte dann die gebäudehohe Verglasung, und anschließend startete der Innenausbau. Die Fertigstellung ist für den Herbst geplant – nur zwei Jahre nach dem ersten Spatenstich.

Unterseite eines  Daches
Unterseite des Dachs. Sie wird so bleiben, damit der Eindruck eines „Holzbaus“ auch im Inneren der Halle gewahrt bleibt. (Quelle: Harald Siebert)

Für Holzbau Amann und die auftraggebende Gemeinde Alfter blieb der erste Teil des Hallenbaus finanziell gesehen im Rahmen, da die Kalkulation und der Materialeinkauf weitestgehend vor den immensen Preissteigerungen der zurückliegenden Monate gelegen hatten. Bei anderen Gewerken muss die Kommune dagegen deutliche Aufschläge verkraften, was die Projektkosten von zunächst veranschlagten 17 Millionen Euro um wohl ein Drittel erhöhen wird. Für das gesamte Umgestaltungskonzept hatte das Land NRW nach der Prüfung des ISEK eine Städtebauförderung von gut zehn Millionen Euro zugesagt. Bauministerin Ina Scharrenbach und Bürgermeister Rolf Schumacher hatten bei der Grundsteinlegung für die Halle von einem „großen Wurf“ für die Gemeinde geschwärmt. Inzwischen ist man angesichts der Teuerung heilfroh, den „Aufschlag“ für die Optimierung des Ortskerns mit dem Holzbau und damit mit einem „wahren Leuchtturm“ gemacht zu haben, freut sich die Leiterin des Planungsamtes, Bianca Lorenz.

zuletzt editiert am 17.05.2023