Der hybride Holzmodulbau in der hessischen Klimagemeinde Kalbach ist ein Leuchtturmprojekt der Carestone Gruppe aus Hannover. (Quelle: Carestone Group GmbH)

Technik 27. July 2023 Pflegeheim in Modulbauweise

Holzmodul-Hybridbau Im hessischen Kalbach realisiert die Carestone Gruppe zum ersten Mal ein Senioren- und Pflegeheim mit Holzmodulen – eine echte Chance für die serielle Schaffung von altersgerechtem Wohnraum. Man habe bei diesem Pilotprojekt viel gelernt und wolle zukünftig ebenso innovativ wie nachhaltig mit Holz-, Massiv- und Hybridkonstruktionen arbeiten, sagt Mark Uhmeier, Geschäftsleitung Projektmanagement und Bau.

Ähnlich wie Hotels umfassen Gebäude, in denen Pflegedienstleistungen erbracht werden, neben zentralen, öffentlichen Aufenthalts-, Versorgungs- und Verwaltungsräumen viele standardisierte Wohneinheiten. Systemisches Bauen, inklusive der zugehörigen Planungsprozesse, ist daher seit Jahren ein zentrales Thema für die Carestone Gruppe. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben Deutschlands marktführender Entwickler von Seniorenwohn- und Pflegeimmobilien, die im Teileigentum als Kapitalanlage angeboten werden.

Steile Lernkurve

Der für die MENetatis, einen erfahrenen Heimbetreiber und langjährigen Partner, geplante Neubau im mittelhessischen Kalbach umfasst 88 Pflegeapartments sowie 17 barrierefreie Zweiraumwohnungen, in denen betreutes Wohnen möglich ist. Im Rahmen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie hatte Carestone das Seniorenzentrum in der Klimagemeinde Kalbach zu einem Pilotprojekt deklariert und angesichts geänderter KfW-Fördermittelprogramme das Objekt ebenso wie einige andere gleich mehrfach durchgeplant, damit sie den höchsten Standards entsprechen, berichtet Uhmeier. „Wir vergleichen detailliert die Ausführung von Neubauten in Massiv-, Hybrid- und Holzbauweise. Das Projekt Kalbach bot sich aufgrund seiner Lage und Größe dazu an, Pflegeapartments und Wohnungen der Einrichtung mit Holzmodulen zu realisieren.“ Steil sei die Lernkurve dabei für den spezialisierten Projektentwickler Carestone, aber auch für den Modulhersteller gewesen.

Der viergeschossige Zentralbau mit dem Treppenhaus, den barrierefreien Aufzügen und den Aufenthaltsräumen der jeweiligen Gruppen zwischen Wohn- und Pflegetrakt ebenso wie das Erdgeschoss des Seniorenzentrums mit Foyer, Bistro, Zentralküche, Wäscherei und Mitarbeiterräumen wurden klassisch aus Mauerwerk und Stahlbeton erstellt. Aufgrund der dort benötigten Spannweiten fühlte sich der Bauherr wohler mit dem Ansatz, dort noch auf ihm bestens bekannte Konstruktionen zurückzugreifen. Nach den guten Erfahrungen mit dem Holzbau im Fortgang und weiteren Recherchen sei man heute allerdings überzeugt, dass auch größere Räume vollständig aus Holz errichtet werden können, berichet Uhmeier.

Das künftige Seniorenzentrum kombiniert Massiv- und Holzmodulbauweise miteinander.

Barrierefrei auch im Erdgeschoss

Zwei Vollgeschosse plus ein Staffelgeschoss mit Pflegeapartments im Gebäudetrakt links vom Foyer sowie drei Etagen mit Zweiraumwohnungen im Erdgeschoss und Pflegeapartemts in den Obergeschossen rechts wurden in Holzmodulbauweise erstellt. Für das Betreute Wohnen sollten die Holzmodule direkt auf die Bodenplatte gesetzt werden, um den barrierefreien Austritt aus den Wohnungen in den Außenbereich zu ermöglichen. Die Holzbaurichtlinie verlangt jedoch einen entsprechend großen Höhenunterschied zwischen Holzkonstruktionen und dem Erdreich, um die Sicherheit gegen Spritzwasserbeaufschlagung zu gewährleisten. Dafür suchten und fanden die Ingenieure von Carestone gemeinsam mit dem Modulbauer schließlich eine probate Lösung: Durch den Einbau eines 40 Zentimeter breiten Schachtgrabens rund um die Bodenplatte und dessen Abdeckung mit Gittern wurde sowohl der Musterholzbaurichtlinie als auch der DIN 18040 – der Grundnorm für barrierefreies Bauen und Planen – entsprochen. In der Folge mussten allerdings auch für die Abdichtung des Gebäudesockels, die Herstellung der Drainage und die weiteren Maßnahmen zur Gewährleistung der Frostsicherheit der Sohle neue Wege beschritten werden.

„Allein was dieses in Pflegeimmobilien wichtige Anschlussdetail ausgelöst hat, macht deutlich, warum es vielfältige Qualifizierungen im Team braucht, wenn Pflegeimmobilien in guter Qualität aus Holz gebaut werden sollen“, fasst Uhmeier zusammen. „Zwar sind Modulhersteller natürlich darin erfahren, die Anforderungen der Landesbauordnungen hinsichtlich des Schall- und Brandschutzes zu erfüllen. Aber bei der DIN 18040 wird das Feld der Spezialisten kleiner, und häufig gänzlich unbekannt sind die unterschiedlichen Anforderungen der Länder an Pflegeimmobilien.“

Die einzelnen Holzmodule werden vorgefertigt und bereits vollständig ausgestattet angeliefert. (Quelle: Carestone Group GmbH)

Lernpartnerschaften

Carestone wolle sich deshalb für „Lernpartnerschaften“ engagieren und interessierte Hersteller an den Bau von barrierefreien Wohnungen und Pflegezimmern heranführen. „In den über 25 Jahren, in denen Carestone Hunderte von Standorten analysiert und etwa 20.000 neue Pflegeplätze geschaffen hat, wuchs die Erkenntnis, dass alle profitieren, wenn wir das Bauen einem verantwortungsbewussten Generalunternehmen anvertrauen beziehungsweise jemandem, der diese Rolle für einen gewissen Zeitraum qualitativ vergleichbar ausfüllen kann. Carestone plant und entwickelt mit sehr viel Erfahrung, kümmert sich um Baurechtschaffung und Finanzierung. Das ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden, und damit sind wir hinreichend ausgelastet“, erläutert Ralf Licht, Chief Development Officer der Carestone Gruppe. In Kalbach habe man den Bauprozess allerdings ausnahmsweise selbst gesteuert, um Erfahrungen aus erster Hand sammeln zu können.

Jedes der 73 Holzmodule, die dort eingesetzt wurden, ist 16,50 Meter lang und 3,80 bis 4,10 Meter breit, enthält entweder Bad oder Küchenblock. Beides wurde vom Modulhersteller werkseitig eingebaut, die TGA so vorgerüstet, dass die Vor-Ort-Montage sämtlicher Module nach gerade einmal vier Wochen abgeschlossen war.

Auch Betreiber und Bewohner von Pflegeimmobilien wissen die positiven Eigenschaften des Baustoffs Holz zu schätzen. (Quelle: Carestone Group GmbH)

Nachhaltige Pflegeimmobilien

Gemäß Brandschutzkonzept (Gebäudeklasse 4) wurden die Raumtrenn- und Flurwände mit Gipsfaserplatten bekleidet und so bis zur Feuerwiderstandsklasse F30, F60 oder F90 ertüchtigt. Die Flure zwischen den Pflegezimmern und Wohneinheiten bilden den ersten Fluchtweg und münden in Treppenhäuser, die in Stahlbauweise im Außenbereich erstellt wurden. Neu für den Modulhersteller waren Maßnahmen, die nötig wurden, um Automatiktüren und Türen mit Offenhaltung einzubauen, die mit der Brandmeldeanlage gekoppelt sind. „Aber genau für solche Details sind wir da“, sagt Mark Uhmeier. „Wir wissen, worauf es in Pflegeimmobilien ankommt, und schaffen die notwendigen Synergien zwischen den Partnern.“

Die gut gedämmte Gebäudehülle des Neubaus in Kalbach erlaubt, dass dieser ausschließlich mit insgesamt zwei Wärmepumpen beheizt wird. Den Strom für die Wärmepumpen liefern unter anderem Photovoltaikmodule, die auf dem ansonsten begrünten Dach des Neubaus aufgestellt werden. Eine natürliche Kühlung durch den Dachbewuchs im Sommer sei für Seniorenimmobilien zu empfehlen, sagt Uhmeier. Zusätzlich verbessere die Kombination aus regenerativen Energien und Dachbegrünung natürlich die Ökobilanz eines Gebäudes – ein für Carestone hoch relevantes Detail, da der Projektentwickler seine führende Stellung beim Bau nachhaltiger Pflegeimmobilien weiter ausbauen will. Das Haus in Kalbach wird entsprechend von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) zertifiziert.

Modulbau überzeugt

„Die Holzmodulindustrie kann für den Bau von Seniorenwohnungen sehr relevant werden“, so das Projektfazit von Uhmeier. Die Erfahrung der Branche mit dem seriellen Bauen halte die Einstiegshürde niedrig. Wirtschaftlich sei der Holzmodul- dem Massivbau zwar momentan nicht überlegen, aber er biete eben die Vorteile kurzer Bauzeiten vor Ort sowie des witterungsunabhängigen Innenausbaus im Werk des Herstellers. „Es ist der Qualität sicher zuträglich, wenn der komplette Ausbau unter Dach und bei angenehmen Raumtemperaturen erfolgen kann“, meint Uhmeier. Dazu fehle Carestone allerdings noch die Erfahrung für eine abschließende Bewertung. „Bei unserem Pilotprojekt in Kalbach hat uns die Ausführungsqualität schon sehr gut gefallen.“ Anders als hinter noch ungedämmten Außenwänden aus Mauerwerk könne in den Holzmodulen insgesamt bei angenehmen Bedingungen gearbeitet werden.

Das Kalbach-Projekt bietet die Chance auf Skalier- und Serienfähigkeit von nachhaltigen Pflegeimmobilien. (Quelle: Carestone Group GmbH)

Seit 2022 engagiert sich Carestone innerhalb der DGNB dafür, nachhaltiges Bauen im Segment der Pflegeimmobilien zu fördern. „Wir investieren die Zeit unserer Ingenieure, um moderne Konzepte aus und mit Holz zu entwickeln“, erklärt Ralf Licht. Zentrales Anliegen sei es zurzeit, Partner zu finden, die in Holztafel- oder Holzmodulbauweise erfahren und bereit sind, als Generalunternehmer mit dem Team zu arbeiten. „Wir kümmern uns um die Standortauswahl, die Betreiberabstimmung, die Gebäudeplanung, die Baugenehmigung sowie die Finanzierung und die Vermarktung der Wohnungen im Teileigentum für private Investoren, die so ihrerseits finanziell für das Alter vorsorgen. Der GU erhält von uns ein allseits abgestimmtes Bausoll und darf sich darauf verlassen, dass er es mit einem wirtschaftlich starken Auftraggeber zu tun hat. Dank einer klaren Arbeitsteilung und partnerschaftlichen Arbeitens entstehen Einrichtungen, die ökonomisch funktionieren sowie nachhaltig und sinnstiftend sind .“

Spannende Potenziale

„Die Nachfrage nach Pflegeimmobilien in Deutschland ist enorm und wird weiter steigen. Die serielle Fertigung mit Holzmodulen wird aus unserer Sicht daher auch in diesem Marktsegment an Bedeutung gewinnen“, ist Uhmeier überzeugt. Zwar seien die Kosten für Dach, Fach und Tragwerk zwischen Holz- und Massivbau vergleichbar, aber natürlich sei inzwischen auch bei Pflegeimmobilien der Faktor Nachhaltigkeit und damit Zeit und Sicherheit bei der Ausführung elementar. Wenn eine Kommune feststelle, dass sie großen und eiligen Bedarf an neuen Pflegeplätzen habe, müsse es oft sehr schnell gehen. „Schnell und trotzdem hochwertig“ könnten allerdings nur eingespielte Partner bauen, die die Planung bereits bis ins qualitätsrelevante Detail miteinander durchgespielt haben.

Die spezielle Konstruktion wird von der DGNB zertifiziert. Sie spart Bauzeit und CO2-Emissionen. (Quelle: Carestone Group GmbH)

Aus dem Projekt in Kalbach nehme Carestone die Erkenntnis mit, dass es bei guter Planung auch leicht fallen werde, mit Holzbauteilen den energetischen Rahmen der Energieeinsparverordnung für den höchstmöglichen KfW-Standard einzuhalten. Innenliegende Dämmungen in Außenwand und Dach seien effizient zu erstellen, und einige der in klassischen Massivbauprojekten kritischen Gewerkeschnittstellen gebe es im Modulbau nicht, unterstreicht Uhmeier. Auch die Betreiber und Bewohner von Pflegeimmobilien wüssten im Übrigen die positiven Effekte des Baustoffs Holz auf das Raumklima zu schätzen.

Carestone jedenfalls werde sich weiterhin sehr intensiv mit der Frage befassen, wie man Pflegeimmobilien effizient mit Holz oder Hybridlösungen erstellen könne, betont der leitende Projektmanager. „Deshalb freuen wir uns auf den Austausch mit den Innovatoren der Branche.“

zuletzt editiert am 27.07.2023