mehrgeschossiger Strohballenbau in der Bauphase
Bild 1: Sonderbauten oder Bauten in Gebäudeklasse 4 und Strohballenbau schließen sich nicht aus. (Quelle: Benediktinerabtei Plankstetten)

Technik 21. April 2023 Hoch hinaus mit Strohballenbau

Brandschutz – Teil 1 Bei mehrgeschossigen Bauten (ab Gebäudeklasse 4) bzw. Sonderbauten bestehen für alle Bauweisen gesteigerte bandschutztechnische Herausforderungen, weil mit der Gebäudeklasse die Brandschutzanforderungen steigen. Für Sonderbauten können aufgrund ihrer besonderen Art oder Nutzung besondere Anforderungen, aber laut Musterbauordnung auch Erleichterungen gelten. Der vorliegende Artikel thematisiert Forschungsarbeiten zu gesteigerten Brandschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit Strohballenbauten und gibt Einblicke in gebaute Beispiele.
Dr. Judith Küppers

Unter Einhaltung einiger Parameter wie Anforderungen an die Rohdichte und den Feuchtegehalt können aus „einfachen“ Strohballen vom Feld Baustrohballen werden, die zur Gebäudedämmung eingesetzt werden können. Sie sind laut der Europäischen Technischen Bewertung ETA-17/0247 normalentflammbar, und es liegt ein Prüfzeugnis für einen feuerhemmenden (F30) Wandaufbau vor (allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis P-3048/817/08-MPA BS). Mit diesen Nachweisen ist es möglich, Gebäude der Gebäudeklassen 1 bis 3, also zum Beispiel Einfamilienhäuser, in Strohballenbauweise zu errichten. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich jedoch mit mehrgeschossigen Strohballenbauten und der Anwendung dieser Bauweise bei Sonderbauten, also Gebäuden mit gesteigerten Brandschutzanforderungen.

Bauweisen des Strohballenbaus

Zunächst sei die Strohballenbauweise an sich kurz vorgestellt. Meist werden im Strohballenbau zwei Bauweisen unterschieden: Strohballenbauten, bei denen sich die Ballen als Dämmung in Holzrahmen befinden, und lasttragende Strohballenbauten ohne Holztragwerk, bei denen die Strohballen auch zum Lastabtrag zum Beispiel aus der Dachkonstruktion dienen.

Bild 2: Wandaufbau, wie er im Forschungsvorhaben untersucht wurde (Quelle: Dr. Judith Küppers)

Strohballenelemente mit Holztragwerk verfügen als Bauart, wie bereits erwähnt, über ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis (abP). Darin ist der Wandaufbau genau beschrieben, und es sind die Brandschutzeigenschaften der geprüften Wand festgehalten. Außerdem liegt die, auch bereits erwähnte, Europäische Technische Bewertung (ETA) für Baustrohballen als Dämmstoff vor. Mit diesen beiden Nachweisen sind vonseiten des Brandschutzes Strohballenbauten bis einschließlich Gebäudeklasse 3 möglich (siehe Tabelle 1). Inhaber dieser Ver- bzw. Anwendbarkeitsnachweise ist der Fachverband Strohballenbau e. V., der diese Dokumente kostenlos auf seiner Internetseite zur Verfügung stellt (www.fasba.de).

Der im abP geregelte Wandaufbau sieht eine direkte Verputzung der Strohballen vor. Die Ballen sind dann zugleich Wärmedämmstoff, Wandbildner und Putzträger. Die Verputzung erfolgt innenseitig aus ökologischen Gründen und zur Förderung eines guten Raumklimas üblicherweise mit Lehm, außenseitig wird oft aus Gründen des Witterungsschutzes Kalkputz verwendet. Es ist naheliegend, die Brandschutzeigenschaften dieser Bekleidungen zur Erfüllung der (gesteigerten) Brandschutzanforderungen zu nutzen. Dazu zählt zunächst, dass die Putze nichtbrennbar sind. Weitere Details zu dieser Herangehensweise finden sich nachstehend.

Mehrgeschossiges Bauen und Sonderbauten mit Stroh

Den brandschutztechnischen Herausforderungen des mehrgeschossigen Bauens (Gebäudeklasse 4) mit Stroh hat sich ein Forschungsvorhaben gestellt, das vom Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert und unter anderem vom Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) der TU Braunschweig bearbeitet wurde (siehe Literaturkasten). Zur Erfüllung der Brandschutzanforderung „hochfeuerhemmend“ müssen die Bekleidungen das Stroh bei Brandeinwirkung 60 Minuten schützen. Diese Kapselstrategie lehnt sich an die Kapselklasse K260 nach DIN EN 13501 an. Zur Erfüllung der Anforderungen zum Schutz brennbarer Dämmstoffe muss jedoch jegliche thermische Veränderung/Verfärbung des Dämmstoffs während der Brandprüfung verhindert werden.

Entwickelt und untersucht wurde dafür unter anderem ein Kalk-Leichtputz. In einem Prozess zur Untersuchung verschiedener Putzzusammensetzungen in Brandversuchen verschiedener Größe wurde eine Materialdicke von 60 mm als leistungsfähig ermittelt. Für die innenseitige Anwendung konnte eine Kombination aus einer 45-mm-Lehmplatte mit Leichtzuschlag und einer 10-mm-Schicht mineralischer Lehmputz die Vorversuche bestehen. In der Anwendung als freitagende Decke war die Haftung im Brandfall jedoch nicht ausreichend. Für die Anwendung einer Lehmbekleidung sind folglich noch weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erforderlich. Bild 2 veranschaulicht den Wandaufbau.

Aufgrund dieser Forschungsergebnisse wurde in Verden an der Aller das Norddeutsche Zentrum für nachhaltiges Bauen (NZNB) als fünfgeschossiger Bau der Gebäudeklasse 4 mit der vorstehend beschriebenen Kalkbekleidung errichtet (Bild 3). Innenseitig wurden, aufgrund der nicht abgeschlossenen Produktentwicklung der Lehmbekleidung Gipsfaserplatten als Brandschutzbekleidung verwendet. Für das Gebäude bzw. die Bauweise wurde eine Zustimmung im Einzelfall erwirkt.

Außenansicht des norddeutschen Zentrums für nachhaltiges Bauen
Bild 3: Das Norddeutsche Zentrum für nachhaltiges Bauen (NZNB) in Verden/Aller wurde als erstes strohgedämmtes Gebäude in der Gebäudeklasse 4 errichtet. (Quelle: Architekten für Nachhaltiges Bauen GmbH, Verden)

Als weiteres Beispiel kann ein vor Kurzem genehmigtes Bauvorhaben in Celle genannt werden. Mit dem von der Stadt Celle beauftragten und von e3architekten aus Hannover geplanten Gebäude soll das Wohnen in der Altstadt gefördert werden und sich gleichzeitig ein ökologisches Bauwerk in das durch Fachwerk geprägte Stadtbild einfügen. Eine Visualisierung findet sich in Bild 4. Das Objekt ist neben den allgemeinen Herausforderungen der Gebäudeklasse 4 gekennzeichnet durch die innerstädtische Bebauung sowie nachbarschaftliche Belange. Das Brandschutzkonzept erstellte Halfkann + Kirchner. Es sieht tragende, hochfeuerhemmende Wände in Holzmassivbauweise, zum Beispiel die Giebelwände, vor. Nichttragende Außenwände (wie die Traufwände) sollen feuerhemmend in Strohballenbauweise gemäß abP errichtet werden.

Eine Visualisierung eines Gebäudes das aus drei nebeneinander stehenden Baukörpern, schlanke Häuser mit sehr steilen Satteldächern, besteht.
Bild 4: Dieser geplante Strohballenbau in Celle hat kürzlich die Baugenehmigung erteilt bekommen. (Quelle: e3architekten, Hannover)

Als weitere inspirierende gebaute bzw. durchgeplante Bauvorhaben, die die Umsetzbarkeit solcher Projekte zeigen, sind zu nennen:

  • Wohngebäude „Speicherbogen“ in Lüneburg, Gebäudeklasse 4, Entwurf: arch.tekton und deltagrün, bewohnt seit 2019, www.speicherbogen.de
  • Bauprojekt „Querbeet“ in Lüneburg, Wohnanlage einer Baugemeinschaft, Gebäudeklasse 4 (Planung u. a. Plan-W und deltagrün), im Bau befindlich, www.querbeet-lueneburg.de
  • Bauvorhaben einer Baugruppe für ein Wohngebäude der Gebäudeklasse 4 in Kooperation mit der Zimmerei Grünspecht, Freiburg, im Genehmigungsprozess

„Strohtel“, die bundesweit erste Beherbergungsstätte in Strohballenbauweise, wurde im Ökodorf Sieben Linden errichtet. Auch das dreigeschossige Mehrzweckgebäude St. Wunibald des Klosters Plankstetten ist mit seiner Nutzung als Beherbergungsstätte, Tagungs- und Verwaltungsgebäude mit Kindergarten und damit als Sonderbau noch ein Exoten (Bild 1). Das Projekt war Teil des europäischen Forschungsprojekts UP STRAW (www.bau-mit-stroh.de, siehe auch Der Zimmermann 3.2022) und wurde brandschutztechnisch im sogenannten Prüfsachverständigenverfahren behandelt.

Ein weiteres bisher ungewöhnliches Projekt ist ein Ausstellungspavillon als lasttragender Strohballenbau. Wiederverwertbarkeit ist dabei ein treibender Gedanke des Entwurfs des planenden Architekturbüros. Die Nutzung scheint auf den ersten Blick ebenfalls in die Kategorie Sonderbau zu fallen. Nach genauer Überprüfung der Randbedingungen sieht die brandschutztechnische Bewertung von Halfkann + Kirchner jedoch eine Einstufung in die Gebäudeklasse 1 vor. Aufgrund der geplanten lasttragenden Bauweise wird für das Bauvorhaben eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung beantragt.

Brandschutzstrategien ermöglichen Umsetzung

Die gebauten und durchgeplanten Beispiele zeigen als Leuchtturmprojekte, dass Strohballenbauten in der Gebäudeklasse 4 bzw. als Sonderbauten möglich sind. Je nach verfolgter Brandschutzstrategie und planerischer Umsetzung kann dabei gegebenenfalls auf eine Ausführung als feuerhemmende Wände und das bestehende abP zurückgegriffen werden.

Für eine hochfeuerhemmende Bauweise von Strohballenelementen liegen erste Forschungsergebnisse vor, deren Anwendung jedoch derzeit das Verfahren einer Zustimmung im Einzelfall bzw. einer vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung vorsieht. Das Beispiel des Sonderbaus St. Wunibald zeigt, dass im Prüfsachverständigenverfahren weitere Möglichkeiten bestehen. Dieses Verfahren ist jedoch nicht in jedem Bundesland möglich.

Für standardisierte Brandschutzlösungen für mehrgeschossige Strohballenbauten bzw. Sonderbauten sind weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erforderlich. Zur Vereinfachung der Verfahren müssten diese dann in einem weiteren Schritt in eine allgemein anerkannte Regel der Technik oder in Anwendbarkeitsnachweise wie abP oder allgemeine Bauartengenehmigung münden.

Deutlich wird, dass derzeit zur Realisierung mehrgeschossiger Gebäude bzw. Sonderbauten in Strohballenbauweise eine detaillierte und individuelle Betrachtung nötig ist, um den bestehenden brandschutztechnischen Herausforderungen zu begegnen. Bei einer frühzeitigen Beteiligung entsprechender Fachplaner:innen können im Planungsteam zielführende Strategien entwickelt werden, mit denen die besonders nachhaltige Strohballenbauweise auch schon heute Einzug in diese Gebäudearten und -klassen halten kann.

Ein weiterer Artikel in der nächsten Ausgabe von Der Zimmermann wird sich mit dem Stand der Technik und dennoch bestehenden brandschutztechnischen Herausforderungen für Bauten der Gebäudeklassen 1–3 beschäftigen.

Literatur

  • Europäische Technische Bewertung ETA-17/0247 vom 21.07.2017 über „Baustroh“, ausgestellt von Deutschen Institut für Bautechnik
  • Allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis P-3048/817/08-MPA BS vom 08.12.2014, ausgestellt von der MPA Braunschweig, inkl. Verlängerung
  • Hosser D., Zehfuß J., Wachtling J.: Direktverputzte Strohballenbauteile für die Gebäudeklasse 4 – Teilprojekt Brandschutztechnische Unter­suchungen, Abschlussbericht ZIM-Förderkennzeichen: KF 2178804 KI0, Braunschweig, 2014, (https://publikationsserver.tu-braunschweig.de/receive/dbbs_mods_00066284)

Fortsetzung folgt.

Der Beitrag ist erschienen in Der Zimmermann 2.2023.

zuletzt editiert am 15.05.2023