Der Richtspruch gibt der Freude über das gute Gelingen des Bauwerks Ausdruck, sagt dem Allmächtigen Dank und fleht seinen Schutz und Segen auf Bau und Bauherrschaft herab. Aber woher kommt dieses schöne Brauchtum der Zimmerleute?
Die ersten Richtsprüche sind im frühen Mittelalter mit dem Aufkommen der Zünfte und eines abgegrenzten, eigenen Zimmerhandwerks aufgekommen und mit der Zeit fester „zünftiger Brauch“ geworden. Sie gehen keineswegs in die germanische Zeit zurück und haben auch nichts gemein mit den heidnischen Zaubersprüchen, die aus der altgermanischen Dichtung bekannt sind. Diese hatten den Charakter von Zauberei. Ihre Wirkungen traten angeblich bei buchstäblicher Anwendung bestimmter Mittel, formelhafter Beschwörungen und Beachtung gewisser äußerer (örtlicher und zeitlicher) Bedingungen automatisch und unfehlbar ein.
Der Zweck der Richtsprüche war Abwehr oder Gewinnung geheimnisvoller Mächte und Kräfte, zu jemandes Nutzen oder Schaden. Reste solchen Aberglaubens leben noch heute in manchen Volksbräuchen, in Krankheits- und Liebeszaubern. Richtsprüche sind von solcher Denkungsart weit entfernt. Richtsprüche enthalten gute Wünsche und bitten den Allmächtigen um Segen für das neue Haus und für alle, die drin wohnen, schalten und walten werden. In diesem Sinne decken sie sich durchaus mit den offiziellen christlichen kirchlichen Gebeten und Segnungen. Nahezu jeder Richtspruch gedenkt auch der Gefahren, die an einem Bau auf die Handwerker lauern, wendet deshalb nach glücklichem Gelingen des Rohbaues ohne Unfall den Blick zum Himmel, um alle Anwesenden daran zu erinnern, dass der Herrgott es ist, dessen Schutz über die Handwerker gewaltet hat.
Der Jahr hunderte alte Brauch ist Berufsstolz der Zimmerleute

Die Bauleute wachen streng darüber, dass man ihren Jahrhunderte alten Brauch respektiert. Hin und wieder haben Bauherren oder Bauherrschaften versucht, ein fälliges Richtfest durch einen Geldbetrag für jeden der Bauleute abzugelten. Solche Versuche sind gescheitert, diese Art der Ablösung konnte sich nicht durchsetzen. Den Bauleuten geht es nicht um ein Almosen – das hätten sie gewiss nicht nötig – es ist ihr Berufsstolz, der sie festhalten lässt an einem überkommenen zünftigen Brauch. Und wenn man bauseits diesen Brauch gar ignorieren will, kann es passieren, dass morgens statt des Richtkranzes ein riesiger Besen oder gar ein Lumpenmann den First des Neubaus krönt. Dies allerdings ist ein etwas fragwürdiger Brauch!
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