Forschungsprojekt Ein Bausystem für Holzhäuser, das die Potenziale digitaler Planungs- und Fertigungsmethoden zeigt und nutzt, das nachhaltig ist und das sich ohne Werkzeuge und Befestigungsmittel einfach und schnell zusammenstecken lässt – dies war das Ziel des Forschungsprojekts „Digital House“ der Hochschule Wismar. Der erste Prototyp ist fertig.
Die Grundidee war, die im Holzbau schon immer praktizierte Konstruktionsweise des Steckens mithilfe digitaler Planungs- und Fertigungsmethoden weiterzuentwickeln, und das anhand einer konkreten Bauaufgabe: eines kleinen Ferienhäuschens – naheliegend für eine Stadt an der Ostseeküste. So wurde aus einem kleinen Entwurfsthema für Studenten das staatlich geförderte Forschungsprojekt „Digital House“. Projektleiter war Prof. Julian Krüger, der anfangs an der Hochschule Wismar lehrte und dann an die Hochschule München wechselte, von wo aus er das Projekt weiterhin betreute. Sein Stellvertreter vor Ort war Benjamin Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Wismar.
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Von mehreren Entwürfen wurde im Jahr 2022 einer realisiert und seither evaluiert. Er steht in einem Wäldchen auf dem Campus der Fakultät Gestaltung und wurde von Architekturstudenten in nur zwei Wochen errichtet. 3,3 × 4,9 Meter misst die Grundfläche des Gebäudes. Horizontal aufgebrachte Aluminium-Lamellen verleihen ihm ein markantes Aussehen. Vom Vorplatz führen vier Treppenstufen hoch zum Eingang in den bis zu 4,5 Meter hohen Innenraum.
Einschraubfundamente statt Erdaushub und Beton
Die bis knapp über das Bodenniveau herunterlaufende Fassade verhüllt, dass das Gebäude etwas über dem Erdboden „schwebt“. Genauer gesagt: Es ruht auf sechs jeweils zwei Meter langen Einschraubfundamenten. Für diese Art der Pfahlgründung sind kein Erdaushub, keine Erdbewegungen und keine Betonarbeiten notwendig. Flurschäden auf dem Bauplatz werden auf ein Minimum reduziert. Das Ökosystem Boden bleibt fast unberührt. Regenwasser kann unter das Bauwerk fließen und versickern. Bei einem Rückbau des Gebäudes lassen sich die Einschraubfundamente rückstandslos herausdrehen und wiederverwenden.

Furnierschichtholzelemente bilden gitterförmige Tragstruktur
Wirklich innovativ an dem Gebäude ist seine Tragstruktur. Sie besteht aus handlichen, CNC-gefrästen, 24 Millimeter starken Holzelementen, die sich dank ihrer großen Präzision und eines ausgeklügelten Knotenpunkts einfach und schnell zusammenstecken lassen. Zwei Personen reichen aus, um ohne Werkzeug und ohne Verbindungsmittel wie Schrauben oder Nägel in kurzer Zeit ein gitterförmiges Tragwerk zu errichten. Bodenplatte, Außenwände und Dach – alles nach dem gleichen Konstruktionsprinzip, alles später einfach und sortenrein wieder demontierbar.

Wichtig für das Steckprinzip ist, dass die Elemente eine große Präzision aufweisen. Beim Zuschnitt beträgt die zulässige Toleranz nur 0,5 Millimeter. Und die eingebauten Elemente selbst müssen in alle Richtungen äußerst form- und dimensionsstabil sein. Deshalb kam qualitativ hochwertiges Sperrholz zum Einsatz: das Furnierschichtholz Steico LVL X mit Sperrfurnieren.

Steico LVL X besteht aus drei Millimeter starken Furnierlagen. Die natürlichen Fehlstellen des Holzes sind auf diese drei Millimeter begrenzt und im Produkt gleichmäßig verteilt. Vor ihrer Verklebung werden die Furnierlagen zudem auf ihre Qualität untersucht, sortiert und dann gezielt eingesetzt. Furnierbereiche mit zu vielen oder zu großen Fehlstellen werden vorher abgeschnitten und aussortiert.
Ausgeliefert wird Steico LVL X mit einer Holzfeuchte von rund neun Prozent. Das ist ziemlich genau die Feuchte, die sich im eingebauten Zustand langfristig einstellt – was bedeutet: kein Schwinden und kein Quellen. Falls sich die Holzfeuchte vor dem Einbau doch etwas erhöht haben sollte, sorgen die Sperrfurniere für eine geringe Volumenänderung von nur 0,03 Prozent pro ein Prozent Holzfeuchte. Zum Vergleich: bei Vollholz C24 beträgt sie rund 0,25 Prozent.
Die gitterförmige Tragstruktur des Gebäudes wurde auf ihrer Innenseite mit Steico LVL X und auf ihrer Außenseite mit diffusionsoffenen Holzfaserplatten beplankt – auch dies ausschließlich mittels Steckens. Bevor die Unterkonstruktion für die Aluminium-Lamellen aufgesteckt werden konnte, musste zunächst noch die Gebäudehülle gedämmt werden.
Holzfaser-Einblasdämmstoff füllt Gefache fugenfrei
Da die Gefache unterschiedliche Formen und Größen aufweisen und zudem ihre Ecken mit kleinen, mittig sitzenden Dreiecken ausgesteift sind, kam zum Dämmen nur Einblasdämmstoff infrage. Verwendet wurde einer aus Holzfasern: Steicozell. Der sorgt mit seinem λ D-Wert von 0,038 W/(m·K) für gute U-Werte und im Sommer dank seiner hohen Wärmespeicherkapazität auch für sehr guten Hitzeschutz. Der ist gerade bei Leichtbaukonstruktionen wichtig, da bei ihnen schwere Speichermassen zum Abpuffern der Temperaturschwankungen fehlen. Und für ein angenehmes Raumklima ebenfalls wichtig ist eine diffusionsoffene Gebäudehülle.
Einblasdämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit – vor allem auch wegen ihrer hohen ökologischen und baubiologischen Qualität, ihrer CO2-Speicherung, ihres Feuchtemanagements, ihrer Verschnittfreiheit und jahrelangen Wiederverwertbarkeit. Einblasdämmstoffe aus Holzfasern haben zudem den Vorteil, dass sie aufgrund einer dreidimensionalen Verzahnung und Verkrallung der Fasern eine große Setzungssicherheit aufweisen und dass sie in gleichbleibend hoher Qualität immer verfügbar sind.


Aluminium-Lamellen sorgen für futuristische Anmutung
Die Fassade besteht aus recyceltem Aluminiumblech, das sich in leicht bewegten, horizontalen Lamellen um das Gebäude legt und die Fassade „zum Fließen“ bringt, was sehr futuristisch wirkt. Parametrisch generierte Anstellwinkel in der Holzunterkonstruktion sorgen für die wellenförmigen Bewegungen. Die Lamellen sind lasergeschnitten und enthalten die Befestigungsdetails. Spezielle Perforationen und Ausschnitte im Blech ermöglichen das Herausfalten von Befestigungswinkeln. Diese werden auf die Unterkonstruktion gesteckt und mit Holzdübeln gesichert. Untereinander sind sie durch ein Steckdetail verbunden.

Parametrik ermöglicht individuelle Konfiguration per App
Das Bausystem ist für eine parametrische Planung entwickelt. Damit wird es möglich, dass künftig die Nutzer die Form und Größe ihres Häuschens selbst per App konfigurieren. Kubatur, Grundriss, Dachform, Öffnungen und Fassade lassen sich individuell gestalten und an den Ort sowie an die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer anpassen. Zugleich mit der Konfiguration kann der Fertigungs- und Transportpreis der Bauteile berechnet werden. Die computergenerieren Daten bilden die Grundlage für die digitale Fertigung aller notwendigen Bauelemente. Das System gewährleistet eine ununterbrochene Prozesskette – von der Planung über die Fertigung bis hin zur Montage des Ferienhauses auf der Baustelle.
Das Projekt ist Teil der Initiative „Mittelstand 4.0“ des Kompetenzzentrums Rostock. Denn es dient dazu, in Mecklenburg-Vorpommern Architekten sowie kleinen und mittleren Unternehmen aus der Holzbaubranche die neuen Möglichkeiten zu zeigen, die sich durch digitales Planen und Produzieren eröffnen. Sie sollen Lust auf Digitalisierung bekommen.
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Hochschule München
Digital House
Fotogalerie
https://t1p.de/20m8b
Kompetenzzentrum Rostock
Mittelstand 4.0
„Digital House“ der Hochschule Wismar
YouTube-Video, 4:15 min
http://youtu.be/oZrG4eCTj9U