Es gibt kaum etwas undurchsichtigeres als einen Datendschungel, der aus einem Zahlenwust besteht. Diese Zeiten sind nun zumindest optisch weitgehend vorbei, weil die EDV die Zahlen in bunten Bildern darstellt. Das ist toll und erleichtert vor allem eines: Die Plausibilitätsprüfung.
Die bunten Bilder, die man heute allgewärtig in Tragwerksplanungen findet, stellen die Schnittgrößen und Verformungen sehr augenscheinlich und hervorragend begreifbar dar. Bei dreidimensionalen Problemen, die mit FEM-Berechnungen gelöst werden, bedient man sich der Farben, um auf zweidimensionalen Papieren oder Bildschirmen die dritte und auch vierte Dimension anschaulich zu machen. Für den Zimmerer sind diese Darstellungen ein hervorragendes Mittel, sich das Tragverhalten eines Gebäudes vorzustellen. Man sieht fast, was unter Belastung passiert. Aber nur wenn das eingegebene Modell das Gebäude wirklichkeitsnah abbildet! Ist die Modellierung nicht wirklichkeitsnah, dann sind die zwar grundsätzlich richtig berechneten Darbietungen falsch.
Grafik nutzen!
Gerade angesichts der sehr übersichtlichen und augenscheinlich gut begreifbaren Darbietungen kann jeder Rechtsanwalt oder Richter im Streitfalle auch als Nicht-Techniker sehr gut zu der Frage kommen „Hätten Sie als Fachmann nicht sehen müssen, dass sich dies und das in der Wirklichkeit ganz anders verbiegt als in der Statik ausgewiesen, das sehe sogar ich?“.
Das Problem ergibt sich aus dem Zusammenwirken vieler Bauteile, die insgesamt zusammenhängend ein Bauwerk ergeben.
Damit Sie bei solchen Fragestellungen nicht in Verlegenheiten geraten, darf angeraten werden, dass Sie vor dem Start in die Ausführung eines Projektes überblickend nochmals die baulichen Zusammenhänge prüfen.
Die Durchbiegungen von Trägern rechtwinklig zur Trägerlängsachse sind bei Holz- und Stahlbauteilen zumeist in Maßen ausgewiesen. Bei Stahlbeton-Bauteilen ist oft die Biegeschlankheit angegeben.
Die Einhaltung von Grenzwerten dieser Durchbiegungen ist üblicherweise getrennt nach Achsenrichtungen nachgewiesen. Ob diese Durchbiegungen zweidimensional betrachtet gering genug sind, um das gewünschte Ergebnis gemessen an den Nutzungsanforderungen zu erreichen, sollte nochmals überprüft werden. Hilfreich sind einfache, isometrische Handskizzen, die die wesentliche Gebäudetragstruktur darstellen.
Mittels CAD lassen sich heute auch detailliertere Darstellungen unaufwendig „ausgegeben“. Bewährt hat sich die Arbeit mit Farbstiften. Minimale und maximale Durchbiegungen sowie Verformungsunterschiede lassen sich sehr übersichtlich eintragen (Bild 1). Dabei fallen Ungereimtheiten gut ins Auge. Bei dem Beispiel in Bild 1 wird sofort augenscheinlich, dass die Verformungen der Dachpfetten ohne Verformungen oder Verschiebungen an den Dachtraufen nicht möglich sein können. Dass die Treppenhaus-Außenwand ohne Nachweis zumindest fragwürdig erscheint, wird zum Beispiel gut augenscheinlich, weil sie vom Boden bis zur Traufe nur an den Rändern gehalten ist.
Systemwechsel bezüglich der „Nachbarschaftsverträglichkeit“ kritisch hinterfragen!
Systemwechsel werden gut erkennbar. Hier sind die Übergänge zweier Systeme ineinander von besonderer Wichtigkeit. In dem Beispiel sind diese Übergangszonen blau angelegt. Besonders empfindlich sind diesbezüglich nebeneinander liegende Kragarmbereiche oder Kragarme neben beidseitig gestützten Feldern. Es ist zu prüfen, ob die Übergänge ausreichend elastisch verformbar sind, um die benachbarten Verformungsunterschiede mangelfrei bewältigen zu können, oder ausreichend beweglich getrennt sind (Gleitfugen und Ähnliches).
Bei nebeneinander liegenden, verschiedenen statischen Systemen und Trägern mit Überhöhungen passen die Überhöhungen zumeist nicht zueinander, was zu unbefriedigenden Ergebnisse führen kann.
Solche Betrachtungen lassen auch zu erwartende Lastumlagerungen erkennen, die zweidimensional betrachtet nicht so leicht ins Auge fallen. In dem Beispiel in Bild 1 wird es zu Angleichungen der Verformungen zwischen den Balken (blau) Balkonsystem und den Nachbarsystemen kommen, weil diese durch die Deckenschalung erzwungen werden. Auch die Verformungen des Unterzuges unter dem Mittelpfettenpfosten können zum Beispiel zu Unzuträglichkeiten führen.
Unterbauteile auf Eignung prüfen!
Unterbauteile, auf denen die Holzkon¬struktionen aufsetzen oder an denen sie anschließen, sollten zumindest soweit überprüft werden, ob sie für die zu erbringende Leistung geeignet sind. Hierbei geht es neben der grundsätzlichen Eignung auch um die Einbringbarkeit der Anschlüsse.
Besonderes Augenmerk verdienen Anschlüsse an Mauerwerk ohne Ringanker oder mit sehr schmalem Ringanker. Es lohnt, zu schauen, ob die Anschlüsse dort „hineinpassen“. Bei wärmedämmenden Untergründen wie tragenden Platten aus Schaumglas, Hartschäumen oder sehr porosierten andersartigen Produkten, die der Wärmebrückenminimierung vornehmlich im Mauerwerksbau dienen, ist Aufmerksamkeit geboten. Holzkonstruktionen mit Stäben auf Schwellen, auch Holztafeln, verteilen die Lasten nicht so gleichmäßige auf solche Zwischenlagen zur Minderung von Wärmebrückenwirkung wie beispielsweise aufgesetztes Mauerwerk, so dass lokale Spannungsspitzen zu berücksichtigen sind. Lokales Versagen muss ausgeschlossen sein.
Holzschutz überprüfen!
Die wärme- und feuchtetechnischen Nachweise für die Bauteile sollten vorliegen. Bei geschlossenen Bauteilen, in denen Tauwasser zu erwarten ist, zum Beispiel unbelüfteten Flachdach-, Balkon- oder Dachterrassen-Konstruktionen, sollte eine Einbaufeuchte des Holzes und der Holzwerkstoffe vorgesehen werden, die der mittleren Nutzungsfeuchte entspricht.
KVH mit beispielsweise 18 % Holzfeuchte gibt bis zu einer Holzfeuchte von 9 % zum Beispiel etwa 35 Liter Wasser je Kubikmeter frei.
Bei üblichen Gefachausbildungen können sich daraus leicht 3 bis 7 Liter Kondensat-Wasser je Feld ergeben, die sich auf der Dampfsperre als Pfütze sammeln und in kurzer Zeit zu lokalen Holzschäden führen können. Dieser schwerwiegende „Anfangseffekt“ wird bei den meisten Tauwasserberechnungen nicht berücksichtigt. Auch Niederschlagswasser oder Dunstwasser aus zum Beispiel einem Zementestrich, das während der Montage die Holzkonstruktion auffeuchtet und dann „eingesperrt“ wird, kann zu solchen Schäden führen.
Schwellen auf Bodenplatten in Bauteilen der Gefährdungsklasse 0 müssen ohne chemischen Holzschutz aus Farbkernholz (Kiefer, Lärche, Douglasie) bestehen oder kontrollierbar sein.
Bei Bauteilen, die nur in kleinen Teilbereichen den Gefährdungsklassen 2 und höher zuzuordnen sind, sollte nach konstruktiven Lösungen gesucht werden, die insgesamt die Einordnung der Bauteile in eine niedrige Gefährdungsklasse ermöglichen.
Bei verklebten Bauteilen muss der Kleber für den jeweiligen Einsatzbereich geeignet sein. Gegebenenfalls sind die Bestellungen entsprechend zu differenzieren.
Metallteile müssen für die zu erwartende Korrosionsbeanspruchung geeignet und erforderlichenfalls geschützt sein (siehe zum Beispiel DIN 1052:2008, Tabelle 2).
Die zu fügenden Teile müssen untereinander „verträglich“ sein, das heißt, sie dürfen sich gegenseitig nicht zum Nachteil der erforderlichen Eigenschaften beeinflussen (zum Beispiel Holzschutzmittel Folien oder Metalle). Schalltechnische Trennfugen müssen auch konstruktiv durchgängig vorhanden sein. Brandschutzbekleidungen müssen auch bis dahin geschlossen durchgehen, bis wohin sie planmäßig benötigt werden.
Das sind alles „einfache Sachen“. Wenn man nur das isolierte Detail in der Tragwerksplanung „2D“ anschaut, ergeben sich häufig keine Fragen oder Probleme. In der Zusammenschau sieht das oft nicht mehr einfach aus.
Schauen Sie zuletzt, ob und gegebenenfalls wie Sie die Konstruktionen an allen Stößen und Ecken unter Berücksichtigung notwendiger Bekleidungen, Dämmungen und Folien zusammen bekommen können.
Mit 3D-CAD kann das Zusammenfahren simuliert werden, wenn die Baugruppen entsprechend der Montageabfolge zusammengefasst sind.
3D nur im Kopf hilft da auch schon oft ausreichend, bei geringerem Aufwand. Zehn Minuten „Im Kopf Durchgehen“ können viele Stunden auf der Baustelle und beim Rechtsanwalt sparen. Soviel Zeit sollte sein, bevor die Maschinen anlaufen und die Menschen produzierend tätig werden.
„Statik richtig lesen“ ist erst nach Ausräumung aller Bedenken abgeschlossen!
Nach der letzten Plausibilitätsprüfung wird es häufig noch Klärungsbedarfe geben. Die Ausräumung der Bedenken ist oft auch mit Änderungen gegenüber dem Bauvertrag verbunden, weil manche Dinge anders ausgeschrieben waren, als sie sich nun darstellen. Nach VOB reicht es für solche Leistungen Ansprüche anzumelden (schriftlich), um ein Recht auf Vergütung zu begründen. Dabei muss nicht ein Preis vereinbart werden, der Auftraggeber kann allerdings eine Preisvereinbarung verlangen.
Klaus Fritzen
Damit ist die Serie „Statik richtig gelesen“ in DER ZIMMERMANN abgeschlossen. Die Redaktion hofft, dass Sie einige Hinweise in Ihre Arbeit aufnehmen und erfolgreich verwerten konnten sowie weiterhin können.
Mangelfreies Bauen mit Holz wünscht die Redaktion.